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Amelie und die Liebe unterm Regenschirm

Amelie und die Liebe unterm Regenschirm

Titel: Amelie und die Liebe unterm Regenschirm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanna Molden
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sie am Fuß der Leiter und betrachtete die efeuüberwucherte Feuermauer, die dem Atelierfenster gegenüberlag und deren Blattwerk im Mondlicht schimmerte. Dann erklomm sie langsam die Leiter, legte sich auf ihrem Futon zum Schlafen zurecht, vergegenwärtigte sich die lachende Stimme des regennassen Unbekannten und war überzeugt, dass sie von Hermann weder gut noch schlecht, sondern gar nicht träumen werde.
    »Der Herr Dokta is scho fria gangen, gestern auf d’Nocht«, bemerkte die Frau Pepi, als Amelie am nächsten Morgen das Haus verließ. Es war das gute Recht der Frau Pepi derlei Bemerkungen zu machen, denn sie war die Hausmeisterin des Hauses, in dessen Hof Amelies Salettl stand. Wie alle anderen Mieter unterstand somit auch das »Fräu’n Lenz« ihrer territorialen Oberhoheit. Amelie hatte bloß insofern eine Sonderstellung, als sie die Einzige war, die die Frau Pepi Frau Pepi nennen durfte. Alle anderen mussten Frau Zadrazil zu ihr sagen. Josefine Zadrazil. Böhmisch bis ins Mark, obwohl ihre Familie in der dritten und die ihres Mannes in der vierten Generation in Wien ansässig waren.
    Die Werteskala der Josefine Zadrazil war von bestechender Einfachheit. Es gab auf ihr nur gut und schlecht, dazwischen gab es nichts. Amelie etwa war gut. Die Zadrazil liebte sie besitzergreifend und warf sich zu ihrer Schutzpatronin auf. Hermann Söhnke hingegen war schlecht. An sich schlecht, weil sie als gewiegte Lauscherin einmal gehört hatte, wie er sie als reinstes Klischee einer Wiener Hausmeisterin bezeichnete. »Wos hot der gsagt, der Ruabnzuzler aus Tschermany? I bin a Klischee?«, hatte sie sich ereifert und den »Dokta« für alle Zeiten in die Kategorie »Schlecht« einsortiert. Überdies schlecht, weil er in den Augen der Frau Pepi schlecht für Amelie war. Keine Gelegenheit ließ sie ungenutzt verstreichen, diese ihre Meinung der Betroffenen kundzutun. »Der Marmeladinger, der passt do net zu Ihna, Fräu’n Lenz. Nemman S’ den Herrn Uli, des is ein netta Mensch«, hatte sie einmal angeregt und mit Bedauern zur Kenntnis genommen, dass Uli bereits vergeben sei. »A nette Frau?«, hatte sie wissen wollen, und nach kurzem Bedenken hatte Amelie die Wahrheit gebogen und die Frage mit »Ja« beantwortet.
    Der lauernde Unterton in der Stimme der Frau Pepi, als sie Hermanns baldigen Aufbruch am vorigen Abend erwähnte, war Amelie keineswegs entgangen. Sie tat, als hätte sie die Bemerkung nicht gehört, und sprach übers Wetter. »Was sagen Sie, Frau Pepi, wie warm es wieder geworden ist, ein richtiger Altweibersommer ist das.« Obwohl die Hausmeisterin Amelies Finte erkannte, ließ sie sich auf das stets dankbare, weil uferlose Thema Wetter ein. Auf ihren Besen gestützt stand sie breitbeinig in der Tür zur Gasse, und es gelang ihr, »die Fräu’n Lenz« gute sieben Minuten festzunageln, ehe es Letzterer glückte, in ihren Laden zu entkommen.
    In ihrem Bemühen, den gestrigen Abend zu verdrängen, nur ja nicht über ihr Verhalten gegenüber Hermann nachdenken zu müssen, legte Amelie an diesem Morgen eine fast hektische Geschäftigkeit an den Tag. Ohne viel zu überlegen, ersetzte sie August und den Brummkreisel durch eine von etwa 1935 stammende Schildkröt-Mädchenpuppe in einem simplen weißen Baumwollkleid. Allzu armselig, fand sie. Und da sie nicht weiter mit Auslagendekoration befasst sein wollte, nahm sie den bunten Missonischal, den einzigen Farbklecks ihrer sonst einheitlich schwarzen Bekleidung, von den Schultern und ließ ihn auf das Spiegelglas des Auslagenbodens sinken. Schlangenartig legte sich das Textil um die Puppe. »Guter Effekt«, sagte Amelie laut und wandte sich dem Schreibtisch zu. Aus seinen tiefen Laden holte sie Kataloge und Kundenkarteien hervor, setzte sich vor dem Telefon zurecht und konzentrierte sich darauf, die Gesichter derer, die sie anrufen würde, vor sich zu sehen.
    Amelies Klientel bestand in der Hauptsache aus Sammlern. Von der Laufkundschaft hätte sie nicht leben können. Und wenn sie mit den Begehrlichkeiten von Kindern gerechnet hätte, wäre sie längst verhungert. Denn für Kinder fiel Amelies Angebot im Allgemeinen in die Kategorie »alter Plunder«. Die erwachsene Laufkundschaft zog sich meist verschreckt zurück, sobald sie die Preise erfragt hatte. Sammler hingegen waren in gewisser Weise Süchtige und somit dem Lieferanten ihrer »Droge« ausgeliefert.
    Zu Amelies Stammkundschaft zählten unter anderen: ein nahezu professioneller Sammler von Teddybären; eine

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