American Gods
du was? Auch das bin ich noch nicht einmal. Es ist angesichts der Umgebung nur relativ leicht, so auszusehen. Das ist alles.« Sie rückte unbehaglich auf dem Sofa herum.
»Wer bist du?«, fragte Shadow.
»Okay«, sagte sie. »Gute Frage. Ich bin der Kasten für die Doofen. Ich bin das Fernsehen. Ich bin das alles sehende Auge und die Welt des Kathodenstrahls. Ich bin die Glotze. Ich bin der kleine Schrein, um den die Familie sich zum Gebet versammelt.«
»Du bist das Fernsehen? Oder jemand im Fernsehen?«
»Das Fernsehen ist der Altar. Ich bin das, welchem die Menschen opfern.«
»Was opfern sie denn?«, fragte Shadow.
»Hauptsächlich ihre Zeit«, sagte Lucy. »Manchmal auch sich gegenseitig.« Sie hob zwei Finger und blies imaginären Revolverrauch von den Spitzen. Dann zwinkerte sie, ein großes altbekanntes Hoppla-Lucy-Zwinkern.
»Du bist eine Gottheit?«, fragte Shadow sie.
Lucy grinste und nahm einen damenhaften Zug von ihrer Zigarette. »So könnte man das ausdrücken«, sagte sie.
»Sam lässt grüßen«, sagte Shadow.
»Was? Wer ist Sam? Wovon redest du?«
Shadow blickte auf seine Armbanduhr. Es war fünf vor halb eins. »Egal«, sagte er. »Also, Lucy-im-Fernsehen. Worüber musst du mit mir reden? In letzter Zeit gab es allzu viele Leute, die mit mir reden mussten. Meistens endet es damit, dass mir jemand eine verpasst.«
Die Kamera zoomte auf Nahaufnahme: Lucy wirkte betroffen und schürzte die Lippen. »Wie ich das hasse. Das hat mir gar nicht gefallen, wie die Leute dir wehgetan haben, Shadow. Ich würde das nie tun, Schatz. Nein, ich möchte dir einen Job anbieten.«
»Und um was geht es da?«
»Du sollst für mich arbeiten. Ich hab gehört, was für einen Ärger du mit dem Gruselkabinett hattest, und war ziemlich beeindruckt, wie du damit fertig geworden bist. Nüchtern, entschlossen, wirkungsvoll. Wer hätte gedacht, dass so etwas in dir steckt? Die sind total sauer.«
»Tatsächlich?«
»Sie haben dich unterschätzt, mein Schatz. Ein Fehler, den ich nicht machen werde. Ich will, dass du auf meiner Seite stehst.« Sie erhob sich und ging auf die Kamera zu. »Sieh es doch mal so, Shadow: Wir sind das kommende große Ding. Wir sind riesige Einkaufszentren – deine Freunde nur schäbige Straßenbuden. Verdammt, wir bieten sogar Online-Shopping, während deine Freunde am Straßenrand sitzen und irgendwelches selbstgezogene Grünzeugs vom Karren verhökern. Ach was, das sind noch nicht mal Gemüseverkäufer. Händler für Kutschenpeitschen. Walknochenkorsettreparateure. Wir sind das Jetzt und das Morgen. Deine Freunde sind noch nicht mal mehr von gestern.«
Es war eine sonderbar vertraute Ansprache.
»Ist dir je so ein dicker Bursche in einer Limousine begegnet?«, fragte Shadow.
Sie spreizte die Hände und verdrehte komisch die Augen, ganz die lustige Lucy Ricardo, die ihre Hände angesichts des Desasters in Unschuld wäscht. »Der Technikknabe? Du hast den Technikknaben getroffen? Pass auf, der ist eigentlich ein guter Junge. Er ist einer von uns. Er kann nur nicht so gut mit Leuten, die er nicht kennt. Wenn du für uns arbeitest, wirst du sehen, was für erstaunliche Sachen er draufhat.«
»Und wenn ich nicht für euch arbeiten möchte, Hoppla-Lucy?«
Es klopfte an Lucys Wohnungstür, und aus dem Off war Rickys Stimme zu hören. Er wollte wissen, wo Luh-cie so lange bleibe, sie müssten doch für die nächste Szene in den Club. Leichter Unwille huschte über Lucys cartoonartiges Gesicht. »Zum Teufel«, sagte sie. »Pass auf, was immer die Alten dir zahlen, ich biete dir das Doppelte. Das Dreifache. Das Hundertfache. Egal, was sie dir geben, ich habe dir so viel mehr zu bieten.« Sie lächelte. Es war ein perfektes, spitzbübisches Lucy-Ricardo-Lächeln. »Du brauchst es nur zu sagen, Honey. Was brauchst du?« Sie begann die Knöpfe ihrer Bluse aufzuknöpfen. »He«, sagte sie. »Wolltest du nicht schon immer mal Lucys Titten sehen?«
Der Bildschirm wurde schwarz. Die Schlaffunktion hatte eingesetzt und der Apparat sich damit selbsttätig ausgeschaltet. Shadow blickte auf die Uhr: Es war halb eins. »Eigentlich nicht«, sagte Shadow.
Er rollte sich auf die andere Seite und machte die Augen zu. Der Grund, warum ihm Wednesday und Mr. Nancy und all die anderen besser gefielen als ihre Gegner, war ein, so wurde ihm klar, recht schlichter: Sie mochten schmutzig und billig sein, und ihr Essen mochte wie Scheiße schmecken, aber wenigstens redeten sie nicht in Sprechblasen.
Außerdem
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