American Gods
Kaffeebecher mit beiden Händen. »Sind Sie sich sicher, dass Sie nichts Indianisches in sich haben?«
»Nicht, dass ich wüsste. Möglich wär’s allerdings. Ich weiß nicht viel über meinen Vater. Ich glaube aber, meine Mutter hätte es mir erzählt, wenn er ein Uramerikaner gewesen wäre. Vielleicht.«
Wieder das Verziehen des Mundes. Nachdem sie die Hälfte des Schokoladenkuchens gegessen hatte, gab Sam auf – das Stück war halb so groß wie ihr Kopf. Sie schob den Teller in Shadows Richtung. »Möchten Sie?« Er lächelte, sagte: »Klar«, und putzte den Rest weg.
Die Kellnerin brachte die Rechnung, und Shadow zahlte.
»Danke«, sagte Sam.
Es wurde jetzt kälter. Der Motor stotterte ein paarmal, bevor er ansprang. Shadow setzte auf die Straße zurück und fuhr dann weiter in Richtung Süden. »Schon mal einen Typen namens Herodot gelesen?«, fragte er.
»Jesses. Wen?«
»Herodot. Schon mal seine Historien gelesen?«
»Also wirklich«, sagte sie träumerisch, »ich kapier es einfach nicht. Ich kapier weder, was Sie reden, noch überhaupt die Wörter, die Sie verwenden, noch sonst was. Eben noch sind Sie ein großer, trotteliger Typ, dann lesen Sie meine Scheißgedanken, und im nächsten Moment reden wir über Herodot. Also gut, nein. Ich hab noch nie Herodot gelesen. Hab aber von ihm gehört. Wahrscheinlich im Radio in einer Kultursendung. Ist das nicht der, der als Vater der Lügen bezeichnet wird?«
»Ich dachte, das wäre der Teufel.«
»Ja, der auch. Aber in der Sendung hieß es, dass Herodot von Riesenameisen erzählt hat und von Greifen, die Goldminen bewachen, und dass er dieses Zeug alles nur erfunden hat.«
»Das glaube ich nicht. Er hat das aufgeschrieben, was man ihm erzählt hat. Er schreibt halt Geschichten, Historien. Und es sind größtenteils ziemlich gute Geschichten. Jede Menge seltsame Dinge – wusstest du zum Beispiel, dass sie in Ägypten, wenn ein besonders schönes junges Mädchen oder die Frau eines Adligen gestorben ist, die Leiche nicht gleich zum Einbalsamieren geschickt haben? Sie haben sie erst mal drei Tage in der Hitze verrotten lassen.«
»Und warum? Oh, Moment. Okay, ich glaube, ich weiß, warum. Igitt, ist das widerlich.«
»Und außerdem handelt es von Schlachten, von allen möglichen ganz normalen Dingen also. Und dann sind da noch die Götter. Ein Mann ist unterwegs, um das Ergebnis irgendeiner Schlacht zu vermelden, und er läuft und läuft, und plötzlich sieht er Pan auf einer Lichtung stehen. Und Pan sagt: ›Sag ihnen, sie sollen mir einen Tempel an dieser Stelle bauen.‹ Er überbringt also die Nachricht vom Verlauf der Schlacht und sagt dann: ›Ach, übrigens, Pan möchte, dass ihr ihm einen Tempel errichtete.‹ Es ist alles einfach so sachlich nüchtern, verstehst du?«
»Okay, es sind also Geschichten mit Göttern. Worauf wollen Sie hinaus? Dass diese Leute Halluzinationen hatten?«
»Nein«, sagte Shadow. »Das ist es nicht.«
Sie kaute auf einem Niednagel. »Ich hab mal ein Buch übers Gehirn gelesen«, sagte sie. »Meine Zimmergenossin hat immer damit rumgewedelt. Da ging es darum, dass vor fünftausend Jahren die Hirnlappen verschmolzen sind, aber vorher dachten die Menschen immer, wenn der rechte Hirnlappen sich gemeldet hat, dass es die Stimme irgendeines Gottes ist, die einem sagen will, was man zu tun hat. Alles also eine Sache des Gehirns.«
»Meine Theorie gefällt mir da besser.«
»Und wie sieht die aus?«
»Dass früher die Menschen von Zeit zu Zeit tatsächlich den Göttern in die Arme gelaufen sind.«
»Oh.« Schweigen. Nur das Klappern des Autos, das Dröhnen des Motors, das Knurren des Auspufftopfes – das sich nicht sehr gesund anhörte. Schließlich: »Glauben Sie, dass die immer noch da sind?«
»Wo?«
»In Griechenland. Ägypten. Auf den Inseln. In der Gegend da halt. Glauben Sie, dass man den Göttern begegnen könnte, wenn man dort wandelt, wo einst diese Leute gewandelt sind?«
»Vielleicht. Aber ich glaube nicht, dass jemand es wissen würde, wenn dem so wäre.«
»Ich wette, es ist wie bei den Außerirdischen«, sagte sie. »Heutzutage begegnen die Menschen ja allerhand Außerirdischen. Früher haben sie eben mehr Götter gesehen. Vielleicht kommen ja auch die Außerirdischen aus der rechten Gehirnhälfte.«
»Ich bezweifle, dass die Götter jemals mit einer Rektalsonde hantiert haben«, sagte Shadow. »Und sie selbst haben auch keine Rinder verstümmelt. Dafür haben sie ihre Menschen gehabt.«
Sie
Weitere Kostenlose Bücher