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American Gods

American Gods

Titel: American Gods Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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glaubte er sagen zu können, dass er eine Bude am Straßenrand, mochte sie auch noch so billig, noch so betrügerisch oder noch so armselig sein, einem Einkaufszentrum jederzeit vorziehen würde.
     
    Der nächste Morgen sah Shadow wieder auf der Straße; er fuhr jetzt durch eine leicht hügelige braune Landschaft aus Wintergras und laublosen Bäumen. Der Schnee war vollständig verschwunden. Er füllte den Tank der Scheißkarre in einer Stadt auf, die Heimat der U-16-Vizemeisterin im 300-Meter-Sprint war, und anschließend schickte er den Wagen, in der Hoffnung, dass es nicht allein der Schmutz war, der diesen zusammenhielt, noch durch die Waschanlage. Zu seiner Überraschung stellte er fest, dass das Auto im sauberen Zustand – wider alle Vernunft – weiß war und weit gehend rostfrei. Er fuhr weiter.
    Der Himmel war unfassbar blau, und darin eingefroren, wie eine Fotografie, stand weißer Industrierauch, der sich aus Fabrikschloten erhob. Ein Falke löste sich von einem abgestorbenen Baum und flog auf ihn zu, wobei die Flügel im Sonnenschein wie eine Serie von Zeitrafferfotos blitzten.
    Irgendwann merkte er, dass er sich East St. Louis näherte. Er versuchte es zu umgehen und fand sich bald darauf in einer Gegend wieder, die wie der Rotlichtbezirk eines Industrieparks anmutete. Achtzehnrädrige Trucks und riesige Fuhrwerke parkten vor Gebäuden, die wie provisorische Lagerhäuser aussahen, aber den Anspruch erhoben, als 24-STUNDEN-NACHTCLUB zu gelten oder, in einem Fall, als DIE BESTE PEAP-SHOW DER STADT. Kopfschüttelnd fuhr Shadow weiter. Laura hatte leidenschaftlich gern getanzt, bekleidet oder nackt (und bei einigen denkwürdigen Gelegenheiten auch von dem einen in den anderen Zustand überwechselnd), und er hatte ihr immer mit Freude zugesehen.
    Das Mittagessen bestand aus einem Sandwich und einer Dose Cola und wurde in einem Ort namens Red Bud genossen.
    Er durchquerte ein Tal, das mit den Wrackteilen von Tausenden von gelben Bulldozern, Treckern und Raupenschleppern übersät war. Er hätte gern gewusst, ob es sich hier um den Bulldozerfriedhof handelte, den Ort, an den die Bulldozer sich begaben, um zu sterben.
    Er fuhr an einer Pop-a-Top-Lounge vorbei. Er fuhr durch Chester (»Heimat von Popeye«). Er bemerkte immer mehr Säulen an der Vorderfront der Häuser, selbst die schäbigste, fadenscheinigste Bruchbude hatte sich jetzt weiße Säulen zugelegt, damit wenigstens die Bewohner sie als Villa ansehen konnten. Er fuhr über einen großen, schlammigen Fluss und musste laut lachen, als er auf einem Schild sah, dass der Name dieses Flusses Big Muddy River, Großer Schlammiger Fluss, lautete. Er sah drei wintertote Bäume, die sich, von einer braunen Schlingpflanzenschicht bedeckt, in seltsame, fast menschliche Formen verbogen – es hätten Hexen sein können, drei gebeugte alte Vetteln, bereit, ihm sein Schicksal vorherzusagen.
    Er fuhr am Mississippi entlang. Shadow hatte zwar noch nie den Nil gesehen, aber die blendende Nachmittagssonne brannte derart auf den breiten braunen Fluss herab, dass er an die trübe Oberfläche des Nils denken musste – nicht den Nil von heute, sondern den aus weit zurückliegenden Zeiten, wie er, einer Schlagader gleich, durch die Papyrussümpfe floss, Heimat von Kobra, Schakal und Wildkuh …
    Ein Straßenschild wies auf Thebes hin.
    Die Straße war gut drei Meter erhöht, er fuhr also oberhalb des Sumpflandes. Scharen von Vögeln flogen hin und her, in zweifellos dringenden, aber unbekannten Geschäften, schwarze Punkte vor einem blauen Himmel, einer verzweifelten Brown’schen Bewegung unterworfen.
    Am späten Nachmittag begann die Sonne zu sinken, tauchte die Welt in güldene Elfenstrahlen, in ein dickes warmes Senflicht, das der Welt einen unheimlichen, surrealen Anstrich verlieh, und in ebendiesem Licht kam Shadow an dem Schild vorbei, das ihm die Grenze zum »Historischen Cairo« anzeigte. Er fuhr unter einer Brücke hindurch und fand sich in einer kleinen Hafenstadt wieder. Die imposanten Bauten des Cairoer Gerichtsgebäudes und des noch imposanteren Zollhauses wirkten wie gewaltige, frisch gebackene Kekse im sirupartigen goldenen Licht des schwindenden Tages.
    Er stellte den Wagen in einer Seitenstraße ab und ging dann zu Fuß zum Uferdamm des Flusses, unsicher, ob er auf den Ohio oder auf den Mississippi hinausblickte. Eine kleine braune Katze schnüffelte und sprang zwischen den Mülltonnen an der Rückseite eines Gebäudes umher, und das Licht verlieh selbst

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