Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)
begünstige diese Entwicklung: Gerade in diesen Kreisen gebe es viele Teenager-Schwangerschaften, übereilte Eheschließungen und frühe Scheidungen. Das Familienleben, das amerikanische home , sei dort ernsthaft bedroht.
Nach Ansicht vieler amerikanischer Soziologen ist das Erstarken des religiös-politischen Fundamentalismus deshalb ein paradoxes Phänomen. Das Aufkommen solcher Bewegungen sei keineswegs mit einem Wiederaufleben konservativer Werte zu erklären, sondern vielmehr damit, dass die traditionellen Normen und Werte während der vergangenen Jahrzehnte rasch an Einfluss verloren hätten. Gerade dieser Bedeutungsverlust lasse die rückwärtsgewandten Amerikaner aktiv werden und alles Erdenkliche unternehmen, um ihre »bedrohte« Lebensweise zu verteidigen.
Wer ist in den Augen dieser Fundamentalisten der Feind? Während unserer Reise höre ich regelmäßig Sendungen des reaktionären Demagogen Rush Limbaugh, der die Frage ganz klar beantwortet: Alles Schlechte hätten wir den »Gebildeten« und »Experten« zu verdanken, einschließlich der »ärztlichen Eliten, der Soziologie-Eliten, der Bildungseliten, der juristischen Eliten, der Wissenschafts-Eliten […] und der Ideen, die diese Gruppe über die Medien verbreitet«.
Limbaugh und seine zahlreichen Mitstreiter stehen in der Tradition einer für das konservative Amerika typischen Intellektuellenfeindlichkeit. Sie wurzelt in den Ideen der Shaker und der evangelikalen Protestanten, eigentlich in all den gefühlsbetonten amerikanischen Konfessionen, denen der unmittelbare emotionale Kontakt zwischen Gott und dem Menschen so wichtig ist. Solche Gläubigen mögen keine akademisch gebildeten Theologen, die alles kaputtanalysieren. Wie hat Thomas Frank es so schön ausgedrückt: »Kritisches Denken steht dieser Tradition zufolge dem Glauben nur im Weg.«
Auf diesem Nährboden gedieh nach und nach eine starke Abneigung gegen die Intellektuellen aus der Mittelschicht, die als Experten und Berater der Politik angeblich eine Art sanfte »soziale Kontrolle« über die »einfachen« Leute ausüben, meint die politische Essayistin Barbara Ehrenreich. Die Experten, behaupten die Konservativen, hätten die Gesellschaft in den vergangenen Jahrzehnten mit Diagnosen, Definitionen und Handlungsanweisungen geradezu bombardiert; sie hätten den Nichtexperten über die Medien eingeflüstert, wie sie zu denken, zu fühlen, ihr Geld auszugeben und ihre Freizeit zu gestalten hätten.
Und es waren vor allem die konservativen Republikaner, die aus dem Unbehagen und der Verbitterung Kapital geschlagen haben. Sie profilierten sich als die Partei des Antiintellektualismus, präsentierten sich als »einfache Hausfrauen« und »ehrliche Farmerssöhne«, obwohl viele von ihnen, zum Beispiel George W. Bush, aus den höchsten Kreisen stammten. Die Stimmen gemäßigter Konservativer, von denen es zu Zeiten Steinbecks noch viele gab, finden vor allem innerhalb der Republikanischen Partei immer weniger Gehör.
Die beiden wichtigsten Traditionen des amerikanischen Geistes, das fromme Reinheitsstreben der »Pilgerväter« und der aufklärerische Idealismus der Founding Fathers , scheinen mittlerweile einen Kampf auf Leben und Tod auszufechten. Beide Parteien haben das Gefühl, dass ihnen »ihr« Amerika genommen werden soll, und diese beiden Amerikas haben kaum noch Ähnlichkeit miteinander.
Wir fahren auf den Highways 10 und 19 nach Minnesota. Meile für Meile fette Schwarzerde, einer der fruchtbarsten Böden der Welt. Das Land ist leicht hügelig, früher war es gelb vom Weizen, heute wachsen überall Mais und Soja. Aber die Farmen sind klein, die Scheunen tragen die Spuren von Stürmen und eisiger Kälte, das große Geld wird offensichtlich anderswo verdient. Neben der Straße sehen wir bald merkwürdige chemische Anlagen, in denen die reiche Maisernte zu Bioethanol verarbeitet wird. Eigentlich ist diese Gegend also eine Art Kuwait, doch seltsamerweise riechen die Anlagen nach dem, was hier nicht mehr produziert wird: Brot.
Es ist Lobbyland, in dem Lobbygeld gesät und geerntet wird. Die amerikanische Ethanollobby hat dafür gesorgt, dass die Herstellung von Bioethanol und Biodiesel kräftig subventioniert wird; die Ölkonzerne wurden zur Abnahme riesiger Mengen an Ethanol verpflichtet: Seit 2010 muss ein Liter Benzin mindestens 10 Prozent Ethanol enthalten. Das summiert sich, denn nach wie vor lieben die Amerikaner Spritfresser; wenn es um Kraftstoff geht, halten sie wenig von
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