Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)
Sparsamkeit. Bis vor kurzem wurde außerdem durch hohe Importzölle die Einfuhr vor allem des billigen brasilianischen Ethanols aus Zuckerrohr eingeschränkt.
All diese Maßnahmen haben absurde Folgen. Obwohl Bioethanol nur 8 Prozent des amerikanischen Energiebedarfs deckt, verschlingt seine Herstellung annähernd 40 Prozent des Maisertrags. Eine günstige Energiebilanz scheint dabei kaum zu interessieren: Während man für jede Energieeinheit, die für die Herstellung des brasilianischen Ethanols aus Zuckerrohr eingesetzt wird, acht Energieeinheiten zurückerhält, sind es beim amerikanischen Ethanol aus Mais nicht einmal anderthalb Einheiten.
In Red Wing, Minnesota, sieht die Main Street aus, als habe sich seit einem halben Jahrhundert nichts verändert. Außer, dass sich kaum Menschen blicken lassen; es ist ruhig wie an einem Sonntagnachmittag. Wir geben einen Brief in einer Poststelle am Highway auf. Es ist ein klobiges kleines Gebäude, davor ein Sternenbanner, drinnen ein Schalter, eine Handvoll Postfächer und eine gestrenge Dame mit Bleistift und Stempel – eine Oase föderativer Ordnung, ein bescheidener, aber unmissverständlicher Ausdruck gemeinsamer amerikanischer Identität. Anschließend fahren wir den ganzen Nachmittag zwischen Maisäckern hindurch, mindestens zweihundert Meilen. Die Bäume sind kahl, das Wetter aber immer noch spätsommerlich. Vor den Häusern stehen und hängen Halloweenpuppen, manchmal ein ganzer Garten voll.
Neben dem Highway ziehen zwei schmierige und staubige Lokomotiven einen meilenlangen Containerzug durch das hügelige Land. America Building , steht auf einigen der Kästen, auf vielen aber Hyundai und China Shipping . Die Farmen wirken wie winzige Inseln in einem Ozean aus Mais. Überall arbeiten große Mähdrescher. Ich sehe, wie ein Farmer seine Maschine anhält, aussteigt, eine Maispflanze aus dem Boden zieht und den Kolben genau untersucht, er scheint die Körner zu zählen. Farmer bleibt Farmer, trotz aller Technik.
Hin und wieder erscheint am Horizont eine Staubwolke, aufgewirbelt von einem Auto auf einer Sandstraße, die einzige Abwechslung nach zehn, zwanzig Meilen.
John Steinbeck nahm die Route über die Zwillingsstädte St. Paul und Minneapolis. Er hatte seine Straßenkarten genau studiert und die Strecke, die er fahren wollte, in sie eingezeichnet, aber dann »brach eine Flut von Verkehr« über ihn herein, »mit Wellen von Kombiwagen und Brechern von röhrenden Trucks«. Er verlor jedes Gefühl für die Richtung, die Dieselabgase brannten ihm in den Lungen, Charley bekam einen Hustenanfall. Nach stundenlanger orientierungsloser Fahrerei sah Steinbeck, dass er sich inzwischen auf einer » evacuation route « bewegte. Es dauerte einige Zeit, bis er begriff, was damit gemeint war: »die vorgesehene Route für die Flucht vor der Bombe, im Falle eines Falles!«, eine Straße, »die von der Angst beherrscht war«. Die Twin Cities selbst bekam er nicht zu Gesicht.
Wir wollen kurz vor Minneapolis eine andere Strecke nehmen, auf dem weiter südlich gelegenen State Highway 19 in Richtung Redwood Falls. Eigentlich ist dies eine Reise ohne geplante Begegnungen, aber es gibt eine Ausnahme: Ich möchte meinen alten Freund Joseph Amato sprechen. Und ich will den Ort Marshall, Minnesota, sehen, population 13,680 , auf den ersten Blick ein x-beliebiges Städtchen inmitten der riesigen Ebene, das sich aber unter dem Vergrößerungsglas Joseph Amatos als eine Welt für sich erweist.
Amato ist ein stämmiger Mann, der gern und viel erzählt, ein leidenschaftlicher Forscher voller Ideen und Energie. Und ein eigenwilliger Denker, der viel über dörfliche Gemeinschaften geschrieben hat, aber auch Bücher wie Von Goldstaub und Wollmäusen. Die Entdeckung des Kleinen und Unsichtbaren . »Als Lokalhistoriker muss man immer ein Stück weiter denken«, sagt er. »Wenn man die ersten Siedlungen beschreibt, stößt man ja zwangsläufig auf die Frage, was davor lag und welcher Preis für die Ausbreitung der europäischen Kultur in Amerika bezahlt worden ist.«
Man muss Geschichte nicht unbedingt aus der Perspektive derjenigen erzählen, die Eisenbahnen und Städte gebaut haben, wie es normalerweise gemacht wird. Stattdessen kann man auch eine Geschichte des Präriegrases schreiben, oder des Getreides, des Maises, der Sojabohnen oder der Bären und Bisons – beide in Minnesota schon um 1860 ausgerottet – und der Wölfe: 1894 wurden in Marshall die letzten Prämien für abgeschossene
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