Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)
musste zwar schreien, die Verbindung war nicht gerade ideal, und alle konnten mithören, aber mit Hilfe des Stacheldrahttelefons konnte man gute und schlechte Nachrichten mit Nachbarn und Freunden teilen, ob es sich um einen Krankheitsfall handelte oder um eine entlaufene Kuh.
Im Herbst 1911 waren die meisten Zäune in Ismay fertig, und Raban beschreibt, wie die Prärie übersät war mit Häusern, Hütten und anderen Gebäuden, die jeweils eine Meile voneinander entfernt lagen: die Steinhäuser der Schotten, die Blockhütten der Amerikaner, die Bauernkaten der Briten, die Holzhäuser mit struppigen Grassodendächern der Norweger. Nachts sah man am Horizont das elektrische Licht der nahe gelegenen Städtchen. Es gab keine heulenden Wölfe mehr. Die Kinder auf den Farmen hörten beim Einschlafen das in den Hügeln leiser werdende Pfeifen des Zugs und das gelegentliche Klingeln eines Stacheldrahttelefons.
Der Boden schien reich und fruchtbar zu sein. Dass die Humusschicht viel zu dünn war, dass das häufige Pflügen fatale Folgen haben würde und dass zwanzig Jahre später fast alle in den Staubstürmen der Dust Bowl beinahe umkommen würden – diese Katastrophen sah niemand voraus. Alles war neu, weitläufig und streng geometrisch geordnet, bewohnt von Immigranten aus allen Teilen Europas, wagemutigen und harten Arbeitern.
»Dies war nicht länger nur Land«, schreibt Raban, »dies war eine Landschaft; und es war eine klassische amerikanische Landschaft.«
Die Familie Wollaston, die im Zentrum von Rabans Buch steht, setzte alles daran, ihre Farm zu erhalten, doch Ende der dreißiger Jahre musste auch sie kapitulieren. In den achtziger Jahren versuchte Raban, zusammen mit einem Enkel von Ned Wollaston, die alte homestead , die Farm, wiederzufinden. Es kostete sie einen ganzen Vormittag, es war, als hätte Ned Wollaston nach einem halben Jahrhundert ebenso wenig Spuren hinterlassen wie ein Bauer aus der Steinzeit. Schließlich fanden sie mit Hilfe einer Generalstabskarte, eines alten Fotos und eines Überbleibsels des Zauns die Stelle. Im Gras entdeckten sie eine Handvoll weitere stille Zeugen: den verrosteten Deckel einer Milchkanne, den Kotflügel eines Ford-T, einen Blitzableiter, die Reste eines Kinderschlittens.
Und dann war da noch eine Erinnerung an dieses Stückchen Land, die einzige, von der sein Vater jemals berichtet hatte: eine Mutter, die Tag für Tag auf den Knien Gott um Regen bittet.
2
Es ist Sonntag. Gestern, gegen Abend, haben wir die wahren Badlands erreicht. Ich hatte davon gehört und darüber gelesen, und doch war ich überrascht. Beinahe übergangslos riss die Erde auf, Felsen tauchten auf, Schluchten, eine wilde Landschaft erhob sich aus der Prärie wie hervorgezaubert. Wir landeten schließlich in Medora, dem einzigen Städtchen weit und breit. Im Sommer wimmelt es hier vor Touristen, jetzt hat nur ein Hotel geöffnet. Alles andere hat geschlossen und ist bereit für den Winter. Die Bäume sind kahl, der erste Schnee kann jeden Moment fallen.
Steinbeck verglich die Badlands mit dem Werk eines bösen Kindes, einer Welt, die Menschen nicht mag. »Solch eine Gegend könnten die Gefallenen Engel geschaffen haben, um dem Himmel eins auszuwischen, trocken und schartig, öde und gefährlich, und für mich erfüllt von schlimmen Vorahnungen.« Er berichtet, wie Rosinantes Federn ächzen, als er sich durch diese verlassene Landschaft quält. Er traf einen mürrischen Farmer und eine alte, von Heimweh erfüllte Frau, doch als der Abend kam, war das Licht so herrlich, dass er erstaunt bei einem Dickicht anhielt, »von der Farbenpracht gefangen und von der Klarheit des Lichts wie betäubt«. Und die Nacht, die er dort verbrachte, war voller Sterne und schöner, als er es je erwartet hätte. »Mein Feuer errichtete eine Kuppel aus gelbem Licht über mir, und in der Nähe hörte ich eine Zwergohreule jagen und Kojoten bellen.«
Tatsächlich jedoch, so geht aus seinem Brief an Elaine vom 12. Oktober 1960 hervor, fuhr Steinbeck in zügigem Tempo durch die Badlands hindurch und übernachtete im früher bereits erwähnten Beach in einiger Entfernung. Die Badlands empfand er als »unheimlich«, »als eine Gegend für Troglodyten oder besser für Trolle«, aber er konnte sich trotzdem vorstellen, dass jemand dieses Land mochte. Die Straße war schlecht, und es wehte heftig. Das war die nackte Wirklichkeit.
Doch heute ist der Tag des Herrn. Medora ist wie ausgestorben, und die einzige Kirche in der Nähe
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