Amerika
wenigstens die Köpfe aus dem Zimmer hervor. Die Männer saßen breitbeinig da, die Füße zwischen den Geländerstangen hinausgestreckt, und lasen Zeitungen, die fast bis auf den Boden reichten, oder spielten Karten, scheinbar stumm, aber unter starken Schlägen auf die Tische, die Frauen hatten den Schoß voll Näharbeit und erübrigten nur hie und da einen kurzen Blick für ihre Umgebung oder für die Straße. Eine blonde, schwache Frau auf dem benachbarten Balkon gähnte immerfort, verdrehte dabei die Augen und hob immer vor den Mund ein Wäschestück, das sie gerade flickte; selbst auf den kleinsten Balkonen verstanden es die Kinder, einander zu jagen, was den Eltern sehr lästig fiel. Im Inneren vieler Zimmer waren Grammophone aufgestellt und bliesen Gesang oder Orchestralmusik hervor, man kümmerte sich nicht besonders um diese Musik, nur hie und da gab der Familienvater einen Wink, und irgend jemand eilte ins Zimmer hinein, um eine neue Platte einzulegen. An manchen Fenstern sah man vollständig bewegungslose Liebespaare, an einem Fenster Karl gegenüber stand ein solches Paar aufrecht, der junge Mann hatte seinen Arm um das Mädchen gelegt und drückte mit der Hand ihre Brust.
»Kennst du jemanden von den Leuten hier nebenan?« fragte Karl Robinson, der nun auch aufgestanden war, und, weil es ihn fröstelte, außer der Bettdecke auch noch die Decke Bruneldas um sich gewickelt hielt.
»Fast niemanden, das ist ja eben das Schlimme an meiner Stellung«, sagte Robinson und zog Karl näher zu sich, um ihm ins Ohr flüstern zu können, »sonst hätte ich mich augenblicklich nicht gerade zu beklagen. Die Brunelda hat ja Delamarches wegen alles, was sie hatte, verkauft und ist mit all ihren Reichtümern hierher in diese Vorstadtwohnung gezogen, damit sie sich ihm ganz widmen kann und damit sie niemand stört, übrigens war das auch der Wunsch Delamarches.« »Und die Dienerschaft hat sie entlassen?« fragte Karl.
»Ganz richtig«, sagte Robinson. »Wo sollte man auch die Dienerschaft hier unterbringen? Diese Diener sind ja sehr anspruchsvolle Herren. Einmal hat Delamarche bei der Brunelda einen solchen Diener einfach mit Ohrfeigen aus dem Zimmer getrieben, da ist eine nach der andern geflogen, bis der Mann draußen war. Natürlich haben die anderen Diener sich mit ihm vereinigt und vor der Tür Lärm gemacht, da ist Delamarche herausgekommen (ich war damals nicht Diener, sondern Hausfreund, aber doch war ich mit den Dienern beisammen) und hat gefragt: ›Was wollt ihr?‹ Der älteste Diener, ein gewisser Isidor, hat daraufhin gesagt: ›Sie haben mit uns nichts zu reden, unsere Herrin ist die gnädige Frau.‹ Wie du wahrscheinlich merkst, haben sie Brunelda sehr verehrt. Aber Brunelda ist, ohne sich um sie zu kümmern, zu Delamarche gelaufen, sie war damals doch noch nicht so schwer wie jetzt, hat ihn vor allen umarmt, geküßt und ›Liebster Delamarche‹ genannt. ›Und schick doch schon diese Affen weg‹, hat sie endlich gesagt. Affen – das sollten die Diener sein; stell dir die Gesichter vor, die sie da machten. Dann hat die Brunelda die Hand Delamarches zu ihrer Geldtasche hingezogen, die sie am Gürtel trug, Delamarche hat hineingegriffen und also angefangen, die Diener auszuzahlen; die Brunelda hat sich nur dadurch an der Auszahlung beteiligt, daß sie mit der offenen Geldtasche im Gürtel dabei gestanden ist. Delamarche mußte oft hineingreifen, denn er verteilte das Geld, ohne zu zählen und ohne die Forderungen zu prüfen. Schließlich sagte er: ›Da ihr also mit mir nicht reden wollt, sage ich euch nur im Namen Bruneldas: Packt euch, aber sofort.‹ So sind sie entlassen worden, es gab dann noch einige Prozesse, Delamarche mußte sogar einmal zu Gericht, aber davon weiß ich nichts Genaueres. Nur gleich nach dem Abschied der Diener hat Delamarche zu Brunelda gesagt: ›Jetzt hast du also keine Dienerschaft?‹ Sie hat gesagt: ›Aber da ist ja Robinson.‹ Daraufhin hat Delamarche gesagt und hat mir dabei einen Schlag auf die Achsel gegeben: ›Also gut, du wirst unser Diener sein.‹ Und Brunelda hat mir dann auf die Wange geklopft. Wenn sich die Gelegenheit findet, Roßmann, laß dir auch einmal von ihr auf die Wange klopfen. Du wirst staunen, wie schön das ist.«
»Du bist also Delamarches Diener geworden?« sagte Karl zusammenfassend.
Robinson hörte das Bedauern aus der Frage heraus und antwortete: »Ich bin Diener, aber das bemerken nur wenige Leute. Du siehst, du selbst wußtest es
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