Amerikanische Reise
Auslegware des Wohnzimmers auf die in der gläsernen Helligkeit
der Vormittagssonne liegende Terrasse. Hier und da wuchsen Kabel aus dem Boden, an die noch Laternen anzuschließen waren.
Die umliegenden Gärtchen waren frisch bepflanzt, alles blühte in einer schütteren ersten Generation, der junge Rasen kämpfte
mit der Hitze. Die Narben der Geländeoperation waren noch nicht verheilt, hier und da warteten Inseln aus sandiger Erde auf
ihre Kultivierung. Kristin schloß die Glastür zum Wohnzimmer, dessen Einrichtung noch ebenso klar und ohne Wucherungen war
wie die frisch beschnittenen Büsche und Hecken in den Gärten. Sie setzte sich an den Gartentisch und stellte den Kaffee ab.
Seit zwei Jahren wohnte sie mit Walter wieder in Deutschland. Nach seinen illegalen Manipulationen war |247| Walters Karriere in den USA abrupt beendet. Insgesamt kam er glimpflich davon. Kristin hatte mit ihrem Geld den Schaden ausgleichen
können, und es blieb noch genug übrig, um ein Haus in der Nähe von Berlin anzuzahlen. Walter und Neil versöhnten sich nicht.
Ob Cindy Neil jemals erzählt hatte, was geschehen war, wußte Walter nicht. Neil trennte sich kurz nach den Ereignissen von
Cindy und zog zu seiner Geliebten, die er anderthalb Jahre später heiratete. Cindy verschwand aus New York. Es hieß, sie lebe
wieder in ihrem Heimatdorf irgendwo im mittleren Westen. Am Ende des Sommers kehrten Walter und Kristin nach Deutschland zurück.
Als sie zum ersten Mal aus der Innenstadt Berlins in den Norden der Stadt fuhren, überfiel Kristin, als die Häuser endeten
und die Bäume begannen, Unbehagen. Bei den ersten Dörfern kam es ihr vor, als steuere Walter den Wagen durch die Tiefen des
Ostblocks, durch ein farbloses Land, in dem das ganze Jahr über Spätherbst herrschte; Novemberland. Sie überfuhren altes Kopfsteinpflaster,
das sich mit prasselndem Getöse in den Wagen übertrug; dann ging es über eine schmale, baufällige Brücke, unter der S-Bahn -Gleise verliefen. Schließlich lag rechts ein neuerschlossenes Reihenhausareal in der Landschaft wie Kunstschnee auf einer
schlammigen Wiese.
Kristin brachte ihr Kind zur Welt, ein Mädchen, das sie auf ihren Wunsch Hannah nannten. Walter war ein begeisterter Vater,
er ging geduldig leicht gebeugt und mit heruntergestreckten Armen durch die Wohnung, um der Kleinen, die sich an seine Zeigefinger
klammerte, Gehen beizubringen. Oder er füllte auf dem Rasen eine Plastikwanne mit Wasser, warf ein Entchen hinein und freute
sich daran, wie die Kleine über den Rasen stapfte und mit großem Ernst und tiefer Konzentration versuchte, in die |248| Wanne zu klettern, die sie dabei ungeschickt vor sich herschob, was sie hinnahm, als sei es eine natürliche Eigenschaft von
Plastikwannen, umherzuwandern. Irgendwann schaffte sie es dann, plumpste ins Wasser und richtete sich stolz auf. Ihr Kreuz
war hohl wie eine Mondsichel und vorne sah es aus, als habe sie einen Bierbauch.
Obwohl Walter es bedauerte, nicht mehr in den USA zu leben, hatte er sich mit der Rückkehr nach Deutschland und dem Familienleben
in der Nähe von Berlin schnell angefreundet, und für seine Tätigkeit bei einer Berliner Bank waren seine Kenntnisse der amerikanischen
Finanzmärkte nützlich. Als dann noch Hannah geboren wurde, war er mit seinem Los vollkommen versöhnt.
Kristin trank einen Schluck Kaffee und betrachtete die Pappschachtel, die sie vor einer Viertelstunde auf dem Dachboden entdeckt
hatte zwischen Kisten und Koffern, die seit ihrem überstürzten Aufbruch aus New York dort lagerten. Sie glaubte, den Inhalt
zu kennen, und sie hoffte, daß sie sich irrte. Der Karton warf einen scharfen Schatten auf den weißen Gartentisch.
Kristin riß das Klebeband rundherum ab und klappte den Deckel auf. Unter einer zusammengeknüllten Seite der
New York Times
lagen ein paar kleinformatige Tonbandkassetten ungeordnet über- und untereinander. Kristin verschob sie mit den Fingern gegeneinander
wie Puzzleteile auf der Suche nach dem richtigen Stein. Sie hatte sich nicht geirrt. Kristin legte die Bänder auf den Tisch.
Erst einmal hatte sie Kassetten dieser Art in der Hand gehabt – als sie mit Jan unterwegs war und seinen Rekorder entdeckte.
Ein paarmal, erinnerte sie sich, sprach sie damals spaßeshalber kurze Bemerkungen auf Band. Ein paar Tage später war Jan tot.
|249| Walter hatte damals geglaubt, das Jüngste Gericht sei angebrochen. Sein amerikanischer Freund hatte
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