Amerikanische Reise
dreizehn Jahren mit ein und demselben Mann zusammenlebt, die vielleicht,
Jan hält auch das für möglich, treu gewesen ist. Wie seltsam.
Jan sieht auf die nasse Straße. Der Asphalt glitzert, als |238| habe jemand Glas gesät. Ein Holztransporter fährt vorbei, dessen Räder spritzen wie ein sich schüttelnder Hund. Das Abrollen
der Reifen auf dem wäßrigen Asphalt klingt, als reiße man sich ein endlos langes Pflaster von der Haut. Das Geräusch gefällt
Jan, weil jedes Pflaster, das man endgültig entfernt, die Heilung einer Wunde bedeutet. Feuchtigkeit stäubt in sein Gesicht.
Jan muß lachen. Er hat sich nie nach renaissancehaften Ausschweifungen gesehnt. Er liebt die Frauen und nicht eitle und ungehemmte
Nächte. Er liebt sie ganz und will sie ganz befriedigen. Er will und muß mit ihnen allein sein, einander hingegeben, voneinander
getrennt. Von gleich zu gleich. Die matte Wunschlosigkeit hinterher. Es geht nicht um den Trieb. Tiere paaren sich, Menschen
lieben sich. Sich in die Augen sehen, in denen bereits steht, daß man sich verlassen wird. Daß es eine Begegnung ist. Eine
Begegnung nur. Kein Rausch. Der Rausch ist ein Karussell mit festgelegten Bahnen. Ohne Ausgang. Bunt, aber starr. Er ist rauschlos
bei Ariel gewesen. Er hat an ihren auseinanderstrebenden Brüsten gesaugt, wie er an allen Brüsten gesaugt hat. Er hat die
rauhen, verschwitzten Dreitagesstoppeln unter ihren Achseln geleckt. Ihre geschlossenen Augen, während sie sich zusätzlich
selbst befriedigt hat. Nähe und Ferne. Bei sich selbst sein und bei dem anderen sein. Dem anderen, der einen verlassen wird.
Jede Frau ist eine Station, jeder Mensch ist eine Station. Als Jan mit Kristin unterwegs war, hat er sich für Augenblicke
vorgestellt, es könnte auch anders sein. Jetzt weiß er, daß es eine Täuschung war. Es gibt nur Hanks. Es gibt nur Ariels.
Und es ist gut so.
Der Boden beginnt zu dampfen. Leben hält Einzug zwischen den Bungalows. Jogger mit Baseballkappen keuchen vorüber, Frühstückstische
werden in den Morast gebohrt, |239| die lange, stelzbeinige Schatten werfen. Mütter plappern auf ihre verschlafenen Kinder ein. Väter versprühen ihre Zufriedenheit,
endlich einmal Herr über den Tag zu sein. Ahornsirup und Marshmallowpaste werden auf weißem Brot verschmiert. Radiosprecher
feuern alle zu guter Laune an, und es kann kein Zweifel daran bestehen, daß die Produkte der Werbung das Leben noch angenehmer
machen. Es gibt kein falsches Leben, und es gibt keine falsche Welt. Es gibt nur die erstaunliche Tatsache, daß sich alles
bewegt, daß es jeden Morgen aufs neue Kräfte gibt, die alles in Gang setzen, als hätte es nie Rückschläge und Katastrophen
gegeben.
Die Sonne schlägt Schneisen durch die Baumkronen. Es hat aufgehört, von Blättern und Dächern zu tropfen. Das Leben ist besser
als sein Ruf, denkt Jan.
Kristin und Ariel sitzen auf den Eingangsstufen. Ariel winkt Jan verhalten zu. Kristin reagiert nicht, als sie ihn sieht.
Hank sitzt auf der Stoßstange des Toyota. Etwas ist nicht in Ordnung.
Kristin sieht Jan an. »Wir müssen umkehren.«
»Was ist los?« fragt Jan.
Sie reagiert nicht, als müsse sie selber erst begreifen, was geschehen ist. »Walter hat angerufen«, sagt sie schließlich.
»Er ist am Ende. Er hat ein paar hunderttausend Dollar verspekuliert.«
Eine Weile sagt niemand etwas. Dann steht Ariel auf. »Wir helfen packen.«
Jan sieht sie an. Ihre Oberschenkel haben einen größeren Umfang als der Saum ihrer Shorts. Die kleine Hautwulst unter der
Naht ist ihm gestern nicht aufgefallen. Sie stellt sich hinter Kristin und massiert ihr die Schultern. Es gibt kaum etwas
zu packen. Genaugenommen nichts.
|240| Jan geht ins Haus und sieht sich um: Das zerwühlte Bett, die leeren Whiskeyflaschen neben dem Fernseher, die Plastikbecher.
Wie oft hat er morgens bereits ein so oder ähnlich aussehendes Zimmer betreten? Egal, wohin man kommt, die Dinge drehen sich
im Kreis. Der klare Morgen und seine heitere Stimmung sind zerlaufen wie wäßrige Farbe. Jan stellt sich unter die Dusche.
Ariel und Hank bemühen sich um Kristin. Jan wirft die Waschsachen in den Wagen. Dann stehen sie zu viert voreinander. Die
Sonne hat sich mehrere Handbreit hochgeschraubt. Sie ist mitten in den Aufräumarbeiten: Pfützen müssen beseitigt und Gehwege
getrocknet werden, damit der Wind fegen kann. Hier und da lecken bereits helle Zungen den dunkel glitzernden Asphalt. Jan
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