Amnesie - Robotham, M: Amnesie - Lost
silberner Mercedes parkt vor einem Stall. Die Fahrertür ist geöffnet, und Alexej sitzt auf dem Boden, den Körper ans Steuer gelehnt. Es nieselt leicht, und die Tropfen sammeln sich auf den Schultern seines Mantels und verkleben seine Haare. Sein Gesicht ist völlig weiß, bis auf ein sauberes schwarzes Loch in der Stirn. Er sieht überrascht aus, als wäre er auf dem Eis ausgerutscht und müsste sich erst fassen, bevor er wieder aufsteht.
Der schwarze Gallant hält am anderen Ende des Hofes. Türen werden aufgerissen und Pistolen über Kühlerhauben gelegt.
Aus der Haustür tritt ein Mann mit einem Gewehr in der Armbeuge. Er ist jünger als Alexej, hat jedoch die gleiche schmale Nase und seine hohe Stirn. Seine dicke Hose steckt in Schnürstiefeln, und am Gürtel hängt ein Messer in einer Scheide.
Ich trete hinter dem Wagen hervor und gehe auf ihn zu. Er hebt sein Gewehr und legt es über die Schulter wie ein Kindersoldat.
»Hallo, Sascha.«
Er nickt, sagt jedoch nichts. Er blickt zu Alexej rüber, und Bedauern flackert in seinem Blick, als er die Augen niederschlägt.
»Alle denken, Sie sind tot.«
»Der alte Sascha ist tot. Sie werden ihn hier nicht finden.«
Sein englischer Akzent ist beinahe verschwunden. Im Gegensatz zu Alexej hatte Sascha nie versucht, seinen russischen Akzent und seine russischen Wurzeln zu verstecken.
Rachel steigt aus dem Wagen, ohne den Blick von Alexej zu wenden. Sie scheint zu glauben, er könne aufstehen und das Blut von seiner Stirn wischen, wenn er lange genug geruht hat.
Der Regen ist in Graupel übergegangen.
»Wollen Sie mir erzählen, was passiert ist?«
Er starrt auf seine Stiefel. »Er ist zu weit gegangen. Er hätte nie kommen dürfen. Er hat ihr ein Zuhause genommen, und nun wollte er sie wieder wegbringen. Er hat genug Ärger gemacht.«
Hinter ihm taucht eine Frau in der Tür auf, an die sich ein junges Mädchen drängt.
»Das ist meine Frau Elena«, sagt Sascha.
Sie hat den Arm um die Schulter des Mädchens gelegt und schirmt sie gegen den Anblick von Alexejs Leiche ab.
»Wir haben uns gut um sie gekümmert. Es hat ihr nie an etwas gefehlt.« Sascha sucht nach Worten. »Sie war wie eine Tochter für uns …«
Mit einer flatternden Bewegung schlägt Rachel die Hand vor
den Mund, als wollte sie sich am Ausatmen hindern. Sie geht an mir vorbei auf die Frau und das Mädchen zu.
Mickey trägt Reithose und Reitjacke. Ihr Haar fällt in geflochtenen Zöpfen auf ihre Schultern, genau wie bei Elena. Rachel geht vorsichtig weiter und sinkt auf die Knie, ihre Stiefelspitzen bewegen kaum den gefrorenen Schotter.
Mickey sagt auf Russisch etwas zu Elena.
»Englisch bitte«, sagt Sascha. »Du fährst nach Hause.«
»Aber hier ist mein Zuhause.«
Er lächelt sie liebevoll an. »Jetzt nicht mehr. Du bist ein englisches Mädchen.«
»Nein!« Sie schüttelt wütend den Kopf und fängt an zu weinen.
»Hör mir mal zu.« Sascha lehnt das Gewehr an die Hauswand und hockt sich neben sie. »Nicht weinen. Ich habe dir doch beigebracht, stark zu sein. Weißt du noch, als wir im letzten Winter Eisfischen waren? Wie kalt es da war? Und du hast kein einziges Mal geklagt. Njet .«
Sie wirft schluchzend die Arme um seinen Hals.
Rachel hat die beiden halb ängstlich, halb erwartungsvoll beobachtet und atmet jetzt tief ein. »Ich habe dich vermisst, Mickey.«
Mickey hebt den Kopf und wischt sich mit der Hand die Tränen von der Wange.
»Ich habe lange auf dich gewartet. Ich bin immer in derselben Wohnung geblieben, weil ich gehofft habe, dass ich dich finde. Es gibt immer noch dein Zimmer und all deine Spielsachen.«
»Ich kann jetzt reiten«, verkündet Mickey.
»Wirklich !«
»Und Schlittschuh laufen. Ich habe auch keine Angst mehr, nach draußen zu gehen.«
»Das sehe ich. Und du bist so groß geworden. Ich wette, du kommst jetzt an das oberste Regal in der Küche neben dem Fenster.«
»Wo du die Süßigkeiten aufbewahrst.«
»Daran erinnerst du dich.« Rachels Augen schimmern. Sie streckt die Hand aus. Mickey betrachtet sie zögerlich und streckt dann ihre eigene Hand aus. Rachel zieht sie an sich und atmet den Geruch ihrer Haare ein.
»Mir geht es jetzt gut«, sagt Mickey. »Du musst nicht weinen. «
»Ich weiß.«
Rachel sieht erst mich und dann Sascha an, der sich auf die Brust klopft und räuspert. Die jungen russischen Polizisten haben sich um Alexejs Leiche versammelt und befühlen sein maßgeschneidertes Hemd und den weichen Stoff seines Kaschmirmantels.
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