Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Amnesie - Robotham, M: Amnesie - Lost

Amnesie - Robotham, M: Amnesie - Lost

Titel: Amnesie - Robotham, M: Amnesie - Lost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Robotham
Vom Netzwerk:
es sein, dass ich mich nicht erinnere?
    Für mich hat es so etwas wie Vergessen nie gegeben, nichts ist verschwommen oder an den Rändern ausgefranst. Ich horte meine Erinnerungen wie ein Geizkragen, der ständig sein Gold zählt. Jeder Schnipsel eines Augenblicks wird aufbewahrt, solange er irgendeinen Wert hat.
    Die Dinge sind nicht fotografisch in mir gespeichert. Ich stelle vielmehr Verbindungen her und verwebe sie wie eine Spinne, die ihr Netz spinnt und einen Faden an den nächsten knüpft. So kann ich Details von fünf, zehn, fünfzehn Jahre zurückliegenden Kriminalfällen aus dem Gedächtnis kramen, als wären sie erst gestern passiert. Namen, Daten, Tatorte, Zeugen, Täter,
Opfer – ich kann sie heraufbeschwören und noch einmal durch dieselben Straßen laufen, dieselben Gespräche führen und dieselben Lügen hören.
    Jetzt habe ich zum ersten Mal etwas wirklich Wichtiges vergessen. Ich weiß nicht mehr, was passiert ist, und wie ich hier gelandet bin. Das schwarze Loch in meinem Kopf ähnelt dem Schatten auf einem Röntgenbild. Ich habe diesen Schatten gesehen. Ich habe meine erste Frau durch Brustkrebs verloren. Schwarze Löcher saugen alles auf. Nicht einmal das Licht entgeht ihnen.
    Zwanzig Minuten später rauscht Dr. Bennett durch den Vorhang. Er trägt Jeans und eine Fliege unter seinem weißen Kittel.
    »Detective Inspector Ruiz, willkommen zurück im Land der Lebenden und der hohen Steuern.« Sein Akzent klingt schwer nach Privatschule, und er hat eine affige Ponyfrisur à la Hugh Grant. Die Strähnen fallen ihm in die Stirn wie eine Serviette über einen Schoß.
    Er leuchtet mit einer Stablampe in meine Augen und fragt: »Können Sie mit den Zehen wackeln?«
    »Ja.«
    »Irgendein Kribbeln irgendwo?«
    »Nein.«
    Er schlägt das Laken zurück und kratzt mit einem Schlüssel über die Sohle meines rechten Fußes. »Spüren Sie das?«
    »Ja.«
    »Ausgezeichnet.«
    Er nimmt das Klemmbrett an meinem Fußende und kritzelt mit einer knappen Handbewegung seine Initialen darauf.
    »Ich kann mich an nichts erinnern.«
    »Sie meinen den Unfall.«
    »Es war ein Unfall?«
    »Ich habe keine Ahnung. Sie wurden angeschossen.«
    »Wer hat mich angeschossen?«
    »Sie können sich nicht erinnern?«

    »Nein.«
    Dieses Gespräch läuft im Kreis.
    Dr. Bennett klopft mit dem Stift gegen seine Zähne und bedenkt seine Antwort. Dann zieht er einen Stuhl heran, setzt sich verkehrt herum drauf und legt seine Arme auf die Rückenlehne.
    »Sie wurden angeschossen. Eine Kugel ist direkt über dem Gracilis-Muskel Ihres rechten Beines eingetreten und hat ein sechs Millimeter großes Loch hinterlassen. Sie ist durch die Haut, die Fettschicht und genau zwischen den femoralen Blutgefäßen und dem Nerv durch den Pectineus, den Quadratus femoris, den Kopf des Biceps femoris und den Gluteus maximus gedrungen, bevor sie auf der anderen Seite wieder ausgetreten ist. Die Austrittswunde war ungleich imposanter. Die Kugel hat ein Loch von zehn Zentimetern Breite gerissen. Alles weg, keine Hautfetzen, keine Reste. Ihre Haut ist einfach verdampft.«
    Er pfeift beeindruckt durch die Zähne. »Sie hatten noch einen Puls, aber keinen messbaren Blutdruck mehr, als man Sie fand. Ihre Atmung hatte ausgesetzt. Sie waren tot, aber wir haben Sie zurückgeholt.«
    Er hält Daumen und Zeigefinger hoch. »Die Kugel hat Ihre Oberschenkelarterie um so viel verfehlt.« Ich kann die Lücke zwischen seinen Fingern kaum ausmachen. »Andernfalls wären Sie binnen drei Minuten verblutet. Außerdem mussten wir die Entzündungsgefahr in den Griff kriegen. Ihre Kleidung war schmutzig. Weiß der Himmel, was alles in diesem Wasser war. Wir haben Sie mit Antibiotika voll gepumpt. Sie hatten Glück.«
    Soll das ein Witz sein? Wie viel Glück braucht man, um angeschossen zu werden?
    »Was ist mit meinem Finger?« Ich halte meine Hand hoch.
    »Weg, fürchte ich, direkt über dem ersten Knöchel.«
    Ein hagerer Assistenzarzt mit der Frisur des ewig Zweiten steckt den Kopf durch den Vorhang. Dr. Bennett stößt ein leises Knurren aus, das nur Untergebene hören. Er steht auf und vergräbt die Hände in den Taschen seines weißen Kittels.

    »Warum kann ich mich nicht erinnern?«
    »Ich weiß es nicht. Das ist nicht mein Fachgebiet, fürchte ich. Wir können ein paar Untersuchungen veranlassen, am besten eine Computer- oder Kernspintomographie, um einen Schädelbruch und Gehirnblutungen auszuschließen. Ich sage der Neurologie Bescheid.«
    »Mein Bein tut weh.«
    »Gut.

Weitere Kostenlose Bücher