Amnion 2: Verbotenes Wissen
sie sich Mackerns Frage. »Wir haben die Ersatzteile für den Ponton-Antrieb benötigt. Und ich wollte meinen Sohn zurückhaben. Wie hätten wir’s sonst erreichen können?«
Mikka hatte in diesem Moment die Möglichkeit, sie der Lüge zu bezichtigen. Sie war bei Morn in der Hilfssteuerwarte gewesen: Sie hatte mit eigenen Augen die Wahrheit beobachtet. Trotzdem sagte sie nichts. Statt dessen verschränkte sie die Arme auf der Brust und blickte mißgelaunt vor sich hin. Zuvor hatte sie Nick mit der Faust ausgeholfen; jetzt unterstützte sie ihn mit ihrem Schweigen.
Für einige Sekunden hing Mackern der Mund offen; seine Augen schimmerten von Schweiß oder Tränen. Dann jedoch wirkte er auf einmal, als würde ihm bang, und er riß sich zusammen. Mit sonderbar unkoordinierten Bewegungen, als wäre mit der Motorik seiner Gliedmaßen etwas nicht in Ordnung, verließ er die Brücke.
Succorsos Nicken deutete Zufriedenheit an, als er sich Mikka zuwandte.
»Du hast das Kommando«, sagte er, erhob sich von seinem Sitz am Kontrollpult. »Wäre mir klar gewesen, daß wir so schnell zu fliegen imstande sind, hätte ich’s schon früher versucht. Aber achte darauf, daß wir in keine Bredouille geraten. Laß alles überwachen. Und arbeite ’nen Statusbericht aus, der Hand und Fuß hat. Ich möchte bei dieser Geschwindigkeit keine Überraschungen erleben. Übers Bremsmanöver denken wir morgen nach. Morn, du hast die Aufgabe« – er sprach in nahezu neutralem Tonfall weiter – »zu analysieren, wenn’s geht, was passiert ist. Unsere wissenschaftlichen Daten stehen dir zur Verfügung. Außerdem kann Vector an Datenmaterial alles beitragen, was er unten bei sich in Schaltraum hat. Falls wir herausfinden, was geschehen ist, könnte es sein, daß es sich zweckmäßig nutzen läßt. Vielleicht können wir’s dann regulär anwenden. Das Wissen, wie man so eine Geschwindigkeit erreicht, müßte uns ein Vermögen einbringen.«
Morn nahm den Befehl unwidersprochen zur Kenntnis; aber noch blieb sie der Datensysteme-Kontrollkonsole fern. »Nick«, fragte sie mit der glaubwürdigsten Vorspiegelung von Nonchalance, die sie zuwegebrachte, »wie geht’s Davies?«
Sie strapazierte ihr Glück. Ein Zucken verzerrte Nicks Gesicht zu einer fratzenhaften Grimasse. »Beim Arsch der Galaxis«, schnauzte er, »woher soll ich das wissen? Ich habe doch wohl keine Zeit dafür gehabt, ihm die Windeln zu wechseln.«
Ein Zittern entstand in Morn, drohte ihre Beherrschung zu untergraben. Sie unterdrückte es. Qualvolle Stiche in ihrem Kopf beeinträchtigten die Klarheit ihrer Sicht. »Genau das meine ich ja«, sagte sie mit aller Zurückhaltung. »Du bist zu stark beansprucht gewesen, um dir seinetwegen Sorgen zu machen. Hast du jemand anderen angewiesen, sich um ihn zu kümmern? Wie fühlt er sich?«
Nick warf ihr einen wutentbrannten Blick zu. Aber er hielt sich an ihre Übereinkunft. Er fluchte halblaut, drosch auf die Taste des zu seinem Kontrollpult gehörigen Interkom-Apparats. »Liete!«
»Nick?« meldete die Zweite Offizierin sich einen Moment später.
»Morn ist besorgt um unseren Gast«, rief Nick in höhnischem Ton ins Mikrofon. In diesem Fall verbarg er seinen Zorn nicht. »Das ist dein Problem. Höchstwahrscheinlich hätte er gerne was zu essen. Kann er haben. Wahrscheinlich wäre ihm auch Gesellschaft recht. Die kann er aber nicht haben. Sollte er durchbrennen, zieh ich dir das Fell über die Ohren. Ich muß mich schon mit genug Schwierigkeiten herumschlagen, auch ohne für den Bankert anderer Leute den Pflegevater zu spielen.«
»Danke«, sagte Morn so leise, daß ihre Stimme nicht zittern konnte. Dann ging sie rasch auf ihren Posten, nahm Platz und schnallte sich, als könnte sie damit auch ihre Furcht bändigen, in den Andrucksessel.
Morn litt unter ernsten Komplikationen.
Ihr pochte der Schädel, ohne daß sie den Beschwerden abzuhelfen vermocht hätte. Ihr Gaumen erzeugte zuwenig Speichel, um Mund und Kehle geschmeidig zu halten. Sie hatte taube Finger, die mit der Tastatur nur schwer zurechtkamen. Wenn sie sich anstrengte, verschwamm ihr alles vor Augen, und sie fühlte sich mulmig im Magen. Schon der normale Schichtdienst drohte sie bei weitem zu überfordern; und dabei gab es noch andere Probleme, mit denen sie sich befassen mußte.
Sie brauchte Hilfe; sie hatte den Beistand ihres Z-Implantats nötig. Jede schwierige Angelegenheit, die an Bord der Käptens Liebchen durch sie bewältigt worden war, hatte sie dank der
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