Amnion 2: Verbotenes Wissen
ruhte wie eine Opfergabe.
»Es gibt zwei Seiten, von denen man diese Sache sehen kann«, bemerkte Dios, indem er aufstand. »Eine ist, daß ich Min Donner zu ihrem eigenen Schutz weggeschickt habe.« In einer Hand hatte er einen großen schwarzen Behälter. »Wüßte sie, was ich tun will, könnte sie vielleicht ihre Erleichterung nicht verhehlen.« Möglicherweise hatte er den Behälter schon die ganze Zeit hindurch auf dem Schoß gehabt. »Früher oder später würde sie sich verraten.«
Er klappte den Behälter auf und kam um den Tisch. Sobald er hinter Angus anlangte, stellte er ihn ab und pellte Angus die Bordmontur von den Schultern.
Obwohl er die Augen nicht bewegen konnte, erkannte Angus, um was es sich handelte: um einen Erste-Hilfe-Kasten.
»Wahrscheinlich könnte ich alles ausbügeln, falls sie nur Hashi Lebwohls Verdacht soweit weckt, daß er auf das aufmerksam wird, was ich hier anstelle. Er ist gefährlich, nicht weil er verkehrte Schlussfolgerungen zöge, sondern weil er aus den falschen Gründen die richtigen Schlüsse zieht. Genau das hat er getan, als er vorschlug, Ihnen Milos Taverner als Begleiter mitzugeben.«
Nachdem er die Schnittwunde zwischen Angus’ Schultern entblößt hatte, ließ er von der Montur ab. Mit einem Ruck riß er das Pflaster herunter. Seine Hände entnahmen dem Verbandskasten ein Skalpell. Rasch brachte er Angus einen neuen Schnitt bei. Mit einem Wattebausch tupfte er Blut von Angus’ Computer.
Angus hätte geschrien, wäre ihm die Gewalt über seinen Mund oder die Stimmbänder gegeben gewesen.
»Aber es ist Godsen Frik, um den ich mir eigentlich Sorgen mache«, sagte Dios, als führte er ein Selbstgespräch. »Täte Min Donner irgend etwas, das seinen Argwohn erregt, wären sie und ich erledigt. Unter diesem Gesichtspunkt ist es wirklich besser, ich trage das Risiko allein.«
Plötzlich breitete sich in Angus’ Geist eine befremdliche, kalte Leere aus. Seinem Computer war der Data-Nukleus abgestöpselt worden.
»Die zweite Betrachtungsweise wäre, daß ich mich selbst schützen will.« Dios legte den Data-Nukleus auf den Tisch und holte aus dem Kasten einen anderen Data-Nukleus. »Wenn Min wüßte, warum ich so handle, hätte sie eventuell etwas dagegen.« Sobald Dios ihm den neuen Data-Nukleus einsetzte, spürte Angus, wie sich seine Programmierung reaktivierte. »Sollte Godsen mir in den Rücken fallen, würde ich voraussichtlich nicht einmal noch lange genug leben, um mir wegen der Vorgänge den Kopf zermartern zu können.«
Kein Zögern und keine Unsicherheit verlangsamten Warden Dios’ Bewegungen, während er die Ränder des Einschnitts zusammendrückte und mit frischem Plasmaverband bedeckte. Er suchte ein sauberes Pflaster aus dem Erste-Hilfe-Kasten und plazierte es sorgsam auf Angus’ Wunde.
Nachdem er den entnommenen Data-Nukleus und das alte Pflaster weggepackt hatte, zog er Angus die Bordmontur wieder über die Schultern und schloß sie. Dann entfernte er sich von Angus’ Platz.
Wenige Schritte beförderten ihn in Angus’ Blickfeld zurück. Deutlich zu sehen außerstande, obwohl seine Augen eigenständig blinzelten, beobachtete Angus, wie der Polizeipräsident um das andere Ende des Tischs schritt und in den Helligkeitskreis zurückkehrte, auf den Stuhl zuging, auf dem Milos Taverner gesessen hatte.
Für einen Moment verlor Angus ihn aus der Sicht. Dann langte Warden Dios über den Tisch und veränderte Angus’ Sitzhaltung, so daß der VMKP-Polizeipräsident und sein neustes Werkzeug einander wieder anschauen konnten.
Dios setzte sich auf Taverners Stuhl, ins Licht, als wollte er ganz sicher sein, daß Angus ihn so genau wie nur möglich zu sehen vermochte. Angus lehnte noch immer – wie ein Schlachtopfer mit entblößtem Hals – schlaff auf seinem Sitz.
»Angus«, sagte Warden Dios mit betonter Deutlichkeit, wandte Angus sein wie gedrechseltes Kinn, die mehrfach gebrochene Nase, seine Augenklappe und das normale Auge zu, »ich habe Ihren Data-Nukleus ausgetauscht. Sie haben es gemerkt, Ihr Geist ist ja wach, auch wenn Sie sich momentan nicht rühren können. Der Unterschied zum vorherigen Data-Nukleus bleibt Ihnen unersichtlich. Die meisten Abänderungen sind sowieso außerordentlich feiner Natur. Aber selbst wenn es anders wäre, könnten Sie die Abweichungen nicht erkennen, weil Ihnen die Möglichkeit zum Vergleichen der beiden Programme fehlt. Soweit es Sie betrifft, ist der jetzt vorhandene der einzige existierende
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