Amnion 3: Ein dunkler, hungriger Gott erwacht
zu.
Min tänzelte hinter den Türrahmen und schoß ihn in die Brust.
Sie hatte zu lange gewartet; sie hätte ihn sofort niederschießen sollen, sobald sie ihn sah. Als die seinem Körper implantierten Sprengsätze explodierten, erfaßte die Druckwelle der Detonation sie sogar hinter der Ecke und schleuderte sie, als wäre sie nur ein Wäschesack, gegen die Wand.
Betonbrocken brachen aus der Mauer, Rohre und Schallschutzplatten barsten aus der Decke, Schuttbröckchen pfiffen wie Schrapnells umher. Blut sprudelte Min aus der Nase. Die Explosionswucht lähmte sie von Kopf bis Fuß. Aber die Explosion schien sich völlig geräuschlos zu ereignen. Als Min von der Wand abprallte und zwischen die Trümmer stürzte, wußte sie schon, sie war taub.
Aber nichts hinderte sie am Handeln. Sie beugte die Beine und raffte sich hoch.
Inmitten dumpfen Schweigens schaute sie nach Kapitän Vertigus.
Aus Augen voller Entsetzen und Staub blickte er zu ihr herauf; sein Mund erzeugte Laute, die sie nicht hören konnte. Hätte ihn nicht der Schreibtisch geschützt, wäre die Tischplatte nicht aus kristallisiertem Harz hergestellt worden, hätte er ernste Verletzungen davongetragen, vielleicht nicht überlebt. Aber er war lediglich ziemlich benommen.
Mins Entwurf der Gesetzesvorlage lag wie Konfetti im Büro verstreut. Doch die meisten Blätter waren unbeschädigt.
»Ich bin nie bei Ihnen gewesen«, sagte Min. Sie nahm die eigene Stimme nur als Schwingungen in ihrem Schädel wahr. »Egal was nachkommt, ich war nie hier. Reichen Sie die Vorlage ein, so bald es machbar ist.«
Sie schwankte davon, als wären ihre Neuronen sich nicht mehr der Synapsen sicher, und überließ ihn sich selbst.
Während sie an Marthes verstümmelten Überresten vorüber und zur Treppe hastete, fragte sie sich, welche der möglichen Zukünfte der Menschheit, über die sie und Kapitän Vertigus vorhin zu entscheiden versucht hatten, jetzt ein für allemal entfallen sein mochten.
MIN
Das Shuttle schwenkte auf die erdwärtigen Astro-Parkbuchten des VMKP-HQ ein; mittlerweile gewann Min Donner allmählich das Gehör wieder.
Die Normalisierung erfolgte langsam. Anfangs hatte sie nur hohes, schwaches, beinahe unmerkliches Ohrensausen, als ob fernab jemand heulte, etwa eine Totenklage abhielte, oder als ob die Warnsirenen des Shuttles, gedämpft durch einen EA-Anzug, winselten. Im ersten Moment dachte sie, es wären die Sirenen, und wieder wurden ihr die Handflächen heiß. Doch weder die Crew noch die Passagiere benahmen sich entsprechend. Nach und nach wich das Gefühl der Gewalttätigkeit aus Min Donners Händen. Schließlich klang das Ohrensausen ab, bis es auf einen nahezu unterschwelligen Grad absank; es handelte sich lediglich um ein neurale Rückkopplung ihrer überlasteten Trommelfelle.
Dann war ihr, als könnte sie, indem das Shuttle Gegenschub gab, das Brausen der Bremsdüsen durch den Rumpf rumoren hören, doch auch dies Geräusch blieb undeutlich. Aber im Gegensatz zum Klingen in ihren Ohren war es Realität. Min berührte die Schotts und spürte darin die gleiche Resonanz.
Trotz der unhörbaren Mahnungen der Crew öffnete sie die Gurte des G-Andrucksessels und schwebte gewichtslos auf die Luftschleuse zu. Sie hatte auszusteigen vor, sobald das Shuttle das Anlegemanöver beendet hatte.
Ein Crewmitglied faßte sie am Arm. Min drehte den Kopf und sah den Mann sprechen. Scheinbar von irgendwo jenseits des Ohrensausens und des Dröhnens im Rumpf erreichte sie seine Stimme, nicht lauter als das Rascheln des Stoffs, wenn ihr eigener Oberarm die Seite des Körpers streifte. »Direktorin Donner, was Sie machen, ist gefährlich.«
»Wenn ich gern ungefährlich leben wollte« – Mins Stimme wisperte durch ihre Schädelknochen – »hätte ich mir einen anderen Beruf ausgesucht.« Um Widerspruch zuvorzukommen, erteilte sie ihm einen Befehl. »Schicken Sie ’n Blitz an Direktor Dios.« ›Blitz‹ war VMKP-Jargon für ›dringende Kontaktaufnahme‹. »Richten Sie aus, ich muß ihn sprechen. Geben Sie durch, es muß sofort sein.«
Sie hätte die Nachricht früher funken lassen; der Taubheit wegen hatte sie jedoch ihrer Stimme nicht getraut.
Das Besatzungsmitglied salutierte und kehrte an seinen Posten zurück.
Die Impacter-Pistole befand sich wieder am üblichen Platz an Mins Hüfte. Gleich nach der Rückkehr ins Shuttle hatte sie sie ins Halfter gesteckt. Min hatte Beschwerden in Körper und Kopf: Prellungen und Blutergüsse schmerzten sie,
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