Amnion 3: Ein dunkler, hungriger Gott erwacht
und in ihren Nasenhöhlen pochte es noch unausgesetzt, obwohl die Nase nicht mehr blutete. Aber darum scherte sie sich nicht. Anderes Weh wog schwerer.
Sie überlegte, ob sie, wenn sie Warden Dios Fragen stellte, seine Antworten hören könnte.
Min gewahrte Fetzen einer Geräuschkulisse, die durch das Anlegemanöver verursacht werden mochte. Das bewertete sie als gutes Zeichen. Die routinemäßigen Durchsagen und Bekanntgaben der Crew dagegen hörte sie noch immer nicht; es schien, als umnachtete ein Betäubungszustand der Trauer sie.
Kaum daß die Stationsschwerkraft ihre Füße auf Deck hinabzogen, öffnete sie die Schleuse, stellte den Druckausgleich her und eilte zum äußeren Schleusenausgang hinaus. Als die Crew den restlichen Passagieren die Erlaubnis gab, die G-Andrucksessel zu verlassen, stand Min Donner schon vor dem ersten Wächter und befahl ihm, sie zum Polizeipräsidenten zu bringen. Sie war sich nicht sicher, ob die Befehlsgewohnheit ihrer Stimme nicht inzwischen zu Hysterie geworden war; auszuschließen war es nicht.
Warden Dios mußte schon auf ihre Mitteilung gewartet haben. Was er auch gerade tat, er ließ davon ab. Keine fünf Minuten nach Mins Ausstieg aus dem Shuttle traf sie sich mit ihm in einem der ultrasicheren Büros, wo sie beide als unerreichbar galten, als abwesend. Wieder wurde ihre Existenz zeitweilig suspendiert.
Dios saß an einem Schreibtisch mit abgeschaltetem Computerterminal und betrachtete sie mit ernstem Blick. Sowohl sein menschliches Auge wie auch seine Prothese schienen sie durch und durch auszuforschen. Über das Wesentliche wußte er zweifelsfrei schon Bescheid; die Meldungen des EKRK-Schutzdienstes sowie des VMKP-Personals auf Suka Bator hatten ihn schneller als jedes Shuttle erreicht. Aber niemand außer Kapitän Vertigus hätte ihn darüber informieren können, daß Min Donner den Kaze eliminiert hatte, und daß der Konzilsdeputierte den VMKP-Polizeipräsidenten kontaktiert hatte, glaubte sie nicht.
Folglich konnte Warden Dios nicht wissen, zu welchem Resultat die Zusammenkunft mit dem Kapitän geführt hatte.
Trotzdem drängte er sie nicht zur Berichterstattung. Egal womit er sich beschäftigt hatte, als der Anruf ihn störte, er erübrigte soviel Zeit und Aufmerksamkeit, wie sie brauchte. Nachdem er sie für einen längeren Moment gemustert hatte, wies er auf einen Sessel. »Wie schlimm sind Sie verletzt?« fragte er, während sie ihre zerschundenen Glieder hineinsinken ließ.
Seine Stimme raunte in ein helles Singen. Hätte sie nicht gesehen, wie sich an seinem Hals die Muskeln abzeichneten, wäre ihr nicht aufgefallen, daß er nahezu brüllte.
Min zuckte die Achseln. »Kaum. Nur ’n paar blaue Flecken. Ich hatte Nasenbluten. Und ich kann im Augenblick schlecht hören… Ich bin von der Erschütterung fast taub.«
»Das ist nicht zu übersehen.« Unvermutete Gereiztheit durchzog das scheinbare Gewisper seiner Stimme. »Ich rede schon eine ganze Zeit lang auf Sie ein, aber Sie haben erst reagiert, als Sie mir ins Gesicht sahen. Wissen Sie, Ihr Bericht kann warten. Ich kann meine Ungeduld bezähmen, während die MediTechs Sie verarzten.«
»Aber ich nicht.« Durch die eigenen Schädelknochen gehört, hatte Mins Stimme einen heiseren, nahezu kehligen Klang. »Ein Irrer hat eine Unschuldige umgebracht.« Sie hatte Marthes Blut, wenngleich nicht auf dem Gewissen, so doch an den Händen. »Wäre er wenige Minuten eher aufgekreuzt, oder hätte ich ihn nicht zerballert, hätte er Kapitän Vertigus und mich liquidiert. Ich kann nicht warten. Ich will wissen, was los ist.«
Warden Dios spreizte die Hände. Im Schein der Leuchte überm Schreibtisch wirkten sie enorm kraftvoll; so fest, als wären sie aus Stein gemeißelt. »Wie Sie wollen. Fangen wir mit dem Kaze an. So was betrifft Ihre Abteilung. Erzählen Sie mir Näheres über ihn.«
»Eine menschliche Bombe«, erklärte Min, ohne überlegen zu müssen. Während des Berichtens verzichtete sie schließlich darauf, ihre Aussprache zu beachten. Spräche sie undeutlich, würde der Polizeipräsident es sagen. »Ein Terrorist mit Selbstmordauftrag. In letzter Zeit hatten wir mit solchen Typen wenig Ärger. Die meisten Randgruppen vegetieren in internem Chaos dahin, können sich nicht entscheiden, wen sie am meisten hassen, so sehr hassen, daß ’s sich lohnte, dafür in den Tod zu gehen. Sie haben zuviel Horror vor dem Bannkosmos. Nur eine Gruppierung versucht regelmäßig, die EKRK-Politik mit Bombenanschlägen
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