Amnion 3: Ein dunkler, hungriger Gott erwacht
neben dem Verschwommenen eine Hand. In der nächsten Sekunde war sie fort.
Gleichzeitig schossen aus dem undeutlichen Fleck zwei Bahnen kohärenten Lichts auf die Wachposten zu. Beide Bilder kippten abwärts, bis sie nur noch den Fußboden zeigten. In dem kleinen Ausschnitt des Korridors, den sie von da an erfaßten, ließ sich kein Mensch blicken.
»Und das ist noch nicht alles«, sagte der Kassierer mit verpreßter Stimme. »Ein dritter Wächter ist getötet worden. Vor demselben Lift, aber in einer höheren Etage. Von hinten umgelegt. Wieder mit ’m Laser.«
Sorus spürte zunehmende Beklemmung in der Brust. »Was ist mit den Überwachungsgeräten der Zelle?« erkundigte sie sich in hochgradiger Anspannung.
Verdrossen stieß der Kassierer ein Knurren aus, tippte neue Befehle ein.
Auf einer Bildfläche erschien das Innere der Zelle.
In der Mitte stand geduckt Davies, starrte erschrocken in Richtung Tür. »Scheiße, Scheiße, Scheiße«, sagte eine Stimme, aber offenbar nicht der Junge. Er hatte den Mund offen, doch schimpfte er nicht, sondern schrie aus vollem Hals. Mit der Wildheit eines gequälten Tiers schwang er eine Faust durch die leere Luft.
Dann fiel die Kamera schlagartig aus. Auf dem Monitor war nichts mehr als Geflacker zu sehen: elektronischer Schnee.
Einige Sekunden später war die Störung vorbei. Das Bild zeigte eine verlassene Zelle.
»Das ist doch unmöglich«, meinte Sorus halblaut.
»Ist dir dieser verschwommene Fleck aufgefallen?« fragte der Kassierer.
Fassungslos nickte Sorus.
»Im Kommandokomplex arbeitet man an der Aufklärung. Die vorläufige Analyse verweist darauf, daß es ein refraktives Störfeld gewesen sein könnte. Aber sollte das stimmen, muß derjenige, der’s erzeugt hat, die Projektoren und ’n eigenen Energiegenerator mitführen. Das heißt, das Aggregat müßte ungefähr« – aufgebracht deutete er rundum auf seine vielen Konsolen – »diese Abmessungen gehabt haben. Selbst wenn’s in den Lift gepaßt hätte, dürfte es verflucht schwierig zu transportieren gewesen sein. Und es hätte auf alle Fälle reichlich Aufsehen erregt. Also ist diese Möglichkeit stark anzuzweifeln.«
Sorus schüttelte den Kopf, als könnte sie sich dadurch wieder zu klarerem Denken zwingen. »Außer die Amnion verfügen über so was«, sagte sie, äußerte die erste Idee, die ihr kam. »Ihre Geräte sind seit jeher besser als unsere gewesen.«
»Glaubst du vielleicht, daran hab ich nicht längst selbst gedacht?!« schrie der Kassierer. »Bist du etwa der Ansicht, ich fühle mich hier so verflucht sicher, daß ich’s mir leiste, die Amnion nicht in Betracht zu ziehen?« Fast unverzüglich jedoch sank seine Stimme wieder zu maßvollerer Lautstärke ab. »Ich habe sie gefragt«, fügte er hinzu, als wäre er aus Ratlosigkeit völlig niedergeschlagen. »Sie sagen, sie haben ihn nicht. Natürlich könnte das gelogen sein. Aber welchen Sinn hätte so eine Aktion für sie? Wären sie wirklich so dringend an ihm interessiert, bräuchten sie ihn doch nicht zu entführen. Es würde ja genügen, ihn mir abzukaufen. Sorus…«
Nun sprach er, als ob er sie beschwörte. »Sie bräuchten mir nur soviel Kredit zu zahlen, wie sie Kapitän Succorso nachträglich entzogen haben. Ausgeben wollten sie’s ja ohnehin. Was macht’s schon, wenn ich es erhalte, nicht er? Die Handelsware zu rauben, würde ihre Beziehungen zu Kapitän Succorso keineswegs günstiger gestalten, vorausgesetzt freilich, sie wünschen zu ihm vorteilhafte Kontakte. Damit wäre nämlich er aus der Pflicht entlassen, die er ihnen gegenüber hat. Warum sollten sie so nachsichtig zu ihm sein? Sie haben ihn doch in die Enge getrieben. In der Hand haben sie ihn, und er ist dagegen vollständig wehrlos.«
»Ich weiß nicht«, murmelte Sorus, kaute auf der Unterlippe; überlegte angestrengt. Soweit sie es überblickte, hatten die Amnion tatsächlich nichts dadurch zu gewinnen, wenn sie Davies aus der Gefangenschaft des Kassierers befreiten. »Vielleicht geht hier wirklich mehr vor, als wir ahnen.« Eine Theorie hatte sie nicht; vorerst suchte sie nur nach eventuellen Einsichten. »Es könnte sein, daß die Geschichte über das Immunitätsserum wahr ist.«
Längs des Rückgrats spürte sie das Kribbeln der Intuition.
»Ich glaube«, erklärte sie mit neuer Entschlossenheit, »wir sollten wirklich als erstes ermitteln, wer dieses Gerücht über mich ausgestreut hat.«
Auf untypische Weise versonnen, starrte der Kassierer sie an. Aber
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