Amnion 4: Chaos und Ordnung
Arme um ihn geschlungen. Er weigerte sich zu reden. Aus seinem Mund war kein Wort mehr gekommen, seit er sie angefleht hatte, ihn zu töten. Jetzt sofort. Solange noch die Gelegenheit da ist.
Bitte.
So, hatte sie ihn angekeucht, nachdem sie mit ihm in die Privatsphäre der Kabine regelrecht geflüchtet war. Jetzt verrätst du mir, was sich ereignet hat. Egal was es ist, wir stehen dagegen zusammen.
Er hatte sie angeblickt, als hätte sie gedroht, ihm das Herz herauszureißen, ja als hätte sie schon damit angefangen; bleich wie der Tod und ohne eine Träne in den Augen hatte er sie angestarrt, bis sie es nicht mehr ertragen konnte, schließlich die Augen von ihm abwandte. Aber eine Antwort hatte er nicht gegeben.
Erzähl’s mir! hatte sie ihn angeschrien. Heraus damit, verdammt noch mal! Ich kann dir nicht helfen, wenn du mir nicht sagst, was los ist.
Er hatte nicht geantwortet. Statt dessen hatte er sich in der Koje zusammengerollt und das Gesicht der Wand zugedreht.
Geplagt von Atemnot, voller verzweifelten Lechzens nach Luft und Hoffnung, hatte sich Mikka zu ihm in die Koje geschwungen, in den Winkel gezwängt; ihn an sich gezogen, bis er auf ihren Knien lag und sie ihn in den Armen halten konnte. Und noch immer sagte er nichts. Er ließ sie nicht einmal sein Gesicht sehen.
Ihr Bruder. Und sie trug für ihn die Verantwortung: nur durch ihre Schuld war er überhaupt hier. Ihretwegen hatte er mit ihr auf der Käptens Liebchen angeheuert; ihr zuliebe hatte Nick ihn in die Besatzung aufgenommen. Heute war er der einzige Mensch, den sie noch zu lieben vermochte.
Nick zu verlieren hatte sie überlebt. Aber falls sie ihren Bruder verlor…
Nachdem sie eingesehen hatte, daß er keinerlei Bereitschaft verspürte, sich ihr anzuvertrauen, weinte sie. Auch das war inzwischen vorbei. Jetzt hatte sie so trockene Augen wie er, kauerte in der Ecke und hielt ihn einfach nur in den Armen, während die Posaune aus dem Dock schwebte und die für den Start erforderliche Fluglage einnahm. Zum Abflug durch den Umraum des Schwarzlabors. Zurück ins weitverstreute, turbulente Gewimmel der ungezählten Gesteinsbrocken des Asteroidenschwarms.
Wie lange mochten sie brauchen? Leichter Schub bewegte das Raumschiff vorwärts. Erst mußte der relativ freie Raum rings ums Labor durchquert werden. Dann der Schwarm selbst; danach das Massif-5-System. Wieviel Zeit würde verstreichen, bis Nick sie, ihren Bruder und das ganze Raumschiff aus der Reichweite jeder denkbaren Hilfe beförderte?
Wie lange konnte sie Ciros Schweigen erdulden?
Wahrscheinlich hatten Morn und Davies mittlerweile in der Luftschleuse Nick aufgelauert. Mit Erfolg? Mikka bezweifelte es; wenn Nick sich auf Angus’ Beistand verlassen durfte, indem er ihm einfach zu helfen befahl, hatten sie wohl kaum Erfolg haben können. Nein, höchstwahrscheinlich waren Morn und ihr Sohn tot. Außer Nick hatte Morn vorerst das Leben geschenkt, weil es ihn wie einen Süchtigen danach gelüstete, sie zu erniedrigen und zu peinigen…
Warum hatte Angus den beiden – Morn und Davies – Pistolen ausgehändigt?
Ciro sträubte sich gegen Mikkas Umarmung. »Ich möchte allein sein«, sagte er mit leiser, gepreßter Stimme.
Unwillkürlich verkrampften sich Mikkas Muskeln, als wäre sie mit einem Stunnerknüppel geschlagen worden.
»Bestimmt wirst du auf der Brücke gebraucht.« Trotzig hielt er das Gesicht weggedreht. Mikkas Arm dämpfte seine Stimme zusätzlich; sie klang nach einem kleinen Jungen. Einem Jungen, der wußte, das einzige Gute, das er noch erhoffen durfte, war der Tod. »Es wird schon wieder. Ich möchte bloß allein sein.«
Nein, wollte Mikka ihm entgegenschleudern. Nein, lag ihr als Erwiderung auf der Zunge, damit bin ich nicht einverstanden. Aber sie brachte keinen Laut hervor.
»Wenn du nicht auf die Brücke gehst, holt dich jemand. Vector oder Sib. Oder Nick, falls er dich noch immer bestrafen will. Ich kann nicht mehr. Wenn du gehst, kannst du vielleicht dafür sorgen, daß sie mich in Ruhe lassen.«
Für ihn war die Grenze des Zumutbaren überschritten. Nick hatte ihn Sorus Chatelaine geopfert, und jetzt war er vollständig fix und fertig.
Mikka schluckte, um Kehle und Gaumen zu befeuchten. Sie konnte ihm nicht helfen. Er wünschte ihre Hilfe nicht: er ließ nicht mehr mit sich reden. Es gab nur noch eines, was ihr offenstand, um etwas zu seinen Gunsten zu tun: ihm die Würde zuzubilligen, das Vorgefallene auf seine Weise zu verwinden.
Nun versuchte sie zu
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