Amnion 4: Chaos und Ordnung
mit nichts als ihrer Redlichkeit und Hingabe an die Berufung betrat.
Trotzdem beobachtete er bei ihr eine gewisse inwendige Spannung: Stressemanationen verfärbten ihre Aura. Rechtschaffen mochte sie sein, aber nicht ohne Qualen.
»Eine dringende Meldung ist eingegangen«, sagte Warden, indem er auf den Monitor wies. »Ich muß mich darum kümmern. Haben wir noch einen Punkt zu besprechen, ehe ich Sie zurück an die Arbeit gehen lasse?«
So schwierig erreichbar war er gewesen, so beschäftigt infolge der ambivalenten und gefährlichen Implikationen der seitens Hashi Lebwohl erhaltenen Informationen, daß Koina Hannish, als er ihr endlich eine Aussprache gewährte, mittlerweile eine beachtliche Liste an Diskussionspunkten angesammelt harte. Eine ganze Anzahl von Themen hatte er inzwischen mit ihr abgehandelt, hauptsächlich Sonderbevollmächtigter Maxim Igensards Anfragen um Daten und Erklärungen sowie ähnliche Nachfragen von EKRK-Deputierten wie Vest Martingale und Sigune Carsin, gar nicht zu reden von grundsätzlichen Appellen Abrim Lens zur Zusammenarbeit und friedlichen Konstruktivität. Vorwiegend hatte Warden der RÖA-Direktorin einfach noch einmal bestätigt, daß er wirklich wünschte, sie widmete sich ihren Aufgaben genau so, wie sie es als richtig erachtete. Besonders hatte er bekräftigt, wie wichtig eine ›volle Offenlegung‹ aller Angelegenheiten vor dem EKRK sei, obwohl er seinerseits keine der Erkenntnislücken geschlossen hatte, die bislang verhinderten, daß ihre ›Offenlegung‹ tatsächlich zur ›vollen Offenlegung‹ wurde.
Und doch: Während er mit ihr redete, tat ihm das Herz weh. Überhaupt schmerzte es ihn in letzter Zeit häufiger. Guter Gott! Warum mußte er solchen Kram daherquatschen? Galt er als dermaßen kompromittiert, daß es den eigenen Mitarbeitern schwerfiel, ihm Vertrauen entgegenzubringen?
Was blieb zu tun?
An welchen Teilen seiner hochkomplizierten, ultrageheimen Planung entstanden diese Lecks?
»Nur noch eins«, antwortete Koina Hannish, als wäre darin ein Trost zu sehen. Obgleich sie äußerlich die Fassung bewahrte, bemerkte Warden ein Anwachsen ihrer inneren Anspannung, für seine Augenprothese so unübersehbar, wie es für seine Ohren unüberhörbar gewesen wäre, hätte sie zu schreien angefangen. »Offen gestanden, ich habe mich damit zunächst an Direktor Lebwohl gewandt, weil ich nicht sicher war, wie ich richtig vorgehen sollte. Aber er hat mir geraten, darüber mit Ihnen zu sprechen, was ich allerdings so oder so vorgezogen hätte.«
Wieder Hashi Lebwohl, dachte Warden. Erst erhielt der DA-Direktor über die Geschehnisse auf Thanatos Minor Informationen – frappierende, unheilschwangere Nachrichten – aus einer Warden unbekannten Quelle. Und jetzt erfuhr Warden, daß er sich als Vertrauter und Ratgeber der Direktorin des Ressorts Öffentlichkeitsarbeit betätigte. Was war da los? Hatte Wardens langjährige, alte Scham zur Folge, daß harmlose Schatten ihn erschreckten, oder versuchte wahrhaftig jeder in seinem Dunstkreis, ihn zu manipulieren?
»Direktor, ich habe…« Kurz drohte Koinas Stimme zu stocken. »Kapitän Sixten Vertigus hat mich per Blitzkontakt persönlich angerufen… Der Ehrenvorsitzende der EKRK-Fraktion des Vereinten Westlichen Blocks.« Als ob diese Tatsache der Erwähnung bedurft hätte. »Zwar war er der Ansicht, ein großes Risiko auf sich zu nehmen, indem er mich kontaktierte, aber er hatte das Gefühl… Also, er sagte folgendes.« Mühelos zitierte sie Kapitän Vertigus aus dem Gedächtnis. »Er könnte sich ›bei den wenigen Gelegenheiten‹, wenn er ›mal wach‹ sei, ›nicht mehr im Spiegel betrachten‹, falls er mich ›nicht warnt‹.«
»Sie ›warnt‹?« wiederholte Warden erregter als beabsichtigt. Er hatte es eilig.
Koina musterte ihn festen Blicks. »Direktor, er hat mir anvertraut, daß er die Absicht hat, sobald das EKRK das nächste Mal zusammentritt – und das wird voraussichtlich innerhalb der kommenden vierundzwanzig Stunden sein –, eine Vorlage zur Verabschiedung eines Abtrennungsgesetzes einzureichen, das uns von den VMK separieren soll.«
Sie schwieg, um Warden einen Moment Zeit zu lassen, damit er sich die Tragweite dieser Enthüllung vergegenwärtigen könnte.
»Er glaubt, daß der Anschlag auf ihn aus diesem Grund stattgefunden hat«, erzählte sie dann weiter. »Daß er den Zweck hatte, sein Vorhaben zu vereiteln. Und er vertritt die Auffassung, Godsen Frik sei infolge der Unterstellung
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