Amnion 4: Chaos und Ordnung
ermordet worden, die Abteilung Öffentlichkeitsarbeit hätte im geheimen mit ihm zusammengearbeitet. Und aus dem gleichen Grund sorgt er sich, ich könnte das nächste Opfer werden.« Andeutungsweise hob sie die Schultern. »Darum hatte er das Gefühl, mich trotz des damit verbundenen Risikos warnen zu müssen.«
In Warden kochte die Ungeduld; vollkommen unterdrücken konnte er sie nicht. »Was für ein Risiko soll das sein?« fragte er, ärgerte sich zusätzlich über seinen groben Tonfall.
Koina senkte den Blick. Min Donner hätte nicht so reagiert. In manch anderer Hinsicht jedoch erinnerte Koina den Polizeipräsidenten sehr an die OA-Direktorin, wie sie früher einmal gewesen war; in der Zeit, bevor er sich dahin verstieg, bei ihr soviel Verständnislosigkeit und Empörung auszulösen.
»Das Risiko, daß wir den Drachen vorher in Kenntnis setzen«, lautete Koinas Antwort. »Das Risiko, daß unsere Warnung den VMK und der VMKP die Chance verschafft, sich gegen ihn zusammenzuschließen.«
Verdammt noch einmal! Tausendmal verflucht! Länger die ruhige Fassade beizubehalten außerstande, sprang Warden auf, als wollte er die RÖA-Direktorin hinauswerfen. »Hashi Lebwohl liegt falsch«, entgegnete er barsch. »Wir sollten lieber nicht darüber reden. Es wäre besser, wir wüßten davon gar nichts. Um es klar zu sagen, wir wissen nichts. Sie haben alles vergessen, was Kapitän Vertigus zu diesem Thema geäußert hat, und sollten Sie irgendwelche Aufzeichnungen der mit ihm geführten Unterhaltung hinterlassen haben, kann ich nur für Sie hoffen, daß Sie an ein Leben nach dem Tod glauben, denn ich hätte dann in diesem Leben keine Gnade mehr mit Ihnen. Falls und wenn wir durch die regulären, normalen Medien öffentlich über das Vorliegen eines Abtrennungsgesetzes informiert werden, nehmen wir eine Haltung absoluter, strikter Neutralität ein. Wir haben keine Meinung, sind weder dafür noch dagegen. Unsere einzige rechtmäßige Legitimation für das, was wir tun, beziehen wir vom EKRK, und es obliegt allein dem EKRK, in dieser Beziehung rechtmäßige Entschlüsse herbeizuführen. Wir unterwerfen uns diesen Entscheidungen, egal wie sie ausfallen. Wir sind nicht die Regierung, sondern eine Polizeitruppe. Es mangelt uns sowohl an der Zuständigkeit wie auch der sachkundigen Kompetenz, um im Zusammenhang mit einem etwaigen Abtrennungsgesetz irgendwie auf das Konzil Einfluß ausüben zu dürfen. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?«
»Nicht ganz.« Erwies es sich als erforderlich, zögerte Koina Hannish nicht, ihre Schönheit auszuspielen. Ihre Augen blickten matt und freundlich, liebenswürdig schmunzelnd lächelte ihr Mund; sogar ihr Ton deutete Zugeneigtheit an. Nur ihre Worte bildeten eine Herausforderung. »Sollen wir gegenüber Holt Fasner dieselbe Einstellung einnehmen?«
Warden jedoch befand sich nicht in der Stimmung für ihre Abwehrtaktiken; und ebensowenig für Herausforderungen. Seine Schultern verkrampften sich zu einer Geste des Widerwillens, die er gerade noch in ein Achselzucken umwandeln konnte. »Koina, sehe ich wie ein Mann aus, der die Zeit hat, hier vor Ihnen zu stehen und Sie anzulügen?« Er machte aus der Not eine Tugend und ließ allen empfundenen Überdruß seiner Stimme einfließen. »Selbstverständlich vertreten wir vor ihm die gleiche Position. Es ist der richtige Standpunkt. Und es ist der einzige Standpunkt« – das gab er nun offen zu –, »den wir uns erlauben können.«
Sofort und ohne Übergang, als fiele der Wechsel ihr leicht, legte Koina wieder betonte Professionalität an den Tag. »Vielen Dank für die Klarstellung, Polizeipräsident Dios.« Und schon wandte sie sich zur Tür. »Ich verschwinde nun und lasse Sie die wirklich wichtigen Arbeiten erledigen.«
Er nuschelte Verwünschungen über sein mangelhaftes Beherrschungsvermögen vor sich hin, dann sagte er, ehe er die Taste des Türöffners drückte – bevor er die Sicherheitsabschirmung öffnete, die ihre Besprechung vor Dritten schützte: »Ich glaube nicht, daß Sie in Gefahr schweben.«
Sie hob die schmalen Brauen und lächelte, als sähe sie in ihrer eventuellen Gefährdung eine rein akademische Frage. »Wieso nicht?«
»Weil Kapitän Vertigus sich irrt. Es geht bei den Attentaten um etwas anderes.«
»Ach so.« Einen Moment lang dachte Koina über seine Antwort nach. »Und worum geht es?« fragte sie schließlich.
Warden hatte keineswegs vor, es ihr zu verraten; weder ihr noch sonst irgend jemandem.
Weitere Kostenlose Bücher