Amnion 5: Heute sterben alle Götter
Kommandozentrum bestimmten hocheilige Aktivitäten die Atmosphäre. An den Konsolen saßen beinahe hundert Männer und Frauen, sichteten Daten, tippten wild auf den Tastaturen, riefen oder krächzten in Mikrofone. Allein die Kommunikation erforderte mindestens fünfzig Leute Technikpersonal. Einige davon bemühten sich beharrlich um Funkkontakt zu der aufgetauchten Defensiveinheit, verlangten Antworten; der Rest hatte andersartige Aufgaben zu erfüllen. Manche koordinierten die Abwehr des VMKP-HQ. Andere organisierten den von Raumfahrzeugen um die Erde gezogenen Verteidigungsring, funkten per Richtstrahl Warnungen und Instruktionen an die Vielzahl der Orbitalstationen des Planeten, lenkten innerhalb des Sonnensystems den Raumflugverkehr um – und lösten überall Panik aus. Ein Expertenteam beschäftigte sich mit der umfangreichen Herausforderung, sämtliche Datenmassen des VMKP-HQ – sowohl der Datenverwaltung wie auch der DA-Computer – per Datenfunk sicheren Megarechnern auf dem Planeten zu kopieren. Und Mitarbeiter von Koina Hannishs RÖA machten sich an das heikle Erfordernis, die zahlenmäßig riesige Erdbevölkerung auf ein mögliches Desaster vorzubereiten.
Darüber hinaus versuchten Datentechniker jede erkennbare Eigenschaft des Alien-Raumschiffs zu erfassen und zu deuten. Spezialisten der OA machten die Evakuierungsfähren startklar. Kanoniere testeten die Funktionsfähigkeit Zielerfassung und -Verfolgung, luden die Artillerie. Bordtechniker drehten die Orbitalstation, um der Defensiveinheit die wirksamsten Geschütze und besten Schutzfelder zuzuwenden.
Das Resultat all dieser Anstrengungen war ein gedämpftes Tohuwabohu, das schwoll und wogte wie drohende Hysterie.
»Unidentifiziertes Amnion-Raumschiff, hier spricht die VMKP-HQ-Stationszentrale.« Inzwischen war die Stimme des Technikers infolge der ständigen Wiederholung ins Leiern geraten. »Sie müssen antworten…«
Trotz der Hochspannung rundherum thronte Warden Dios inmitten des Chaos, als wüßte er keinerlei Anlaß zu irgendwelchen Befürchtungen. Rasch wanderten Anzeigen über die Monitore seiner Konsole, erhellten sie gemeinsam mit dem hektischen Blinken diverser Indikatoren, erstellten ein Spiegelbild aller Ereignisse, die sich ringsum vollzogen. Im Kommandozentrum hatte er die volle Kontrolle sowohl über die Stationszentrale wie auch das VMKP-HQ. Aber er ließ sich von der allgemeinen Aufregung nicht anstecken. Gleichmütig wie Stein blickte er dem möglichen Untergang der Menschheit und dem Zerstieben seiner Träume entgegen, als wäre ihm längst genau bekannt, was geschehen sollte und was er zu unternehmen hatte. Seine Untergebenen brauchten ihn; brauchten seine Kraft, seine Gelassenheit und Klarheit. Ihretwegen und weil er es als seine Verpflichtung erachtete, blieb er äußerlich selbstbewußt und ruhig; unerschütterlich.
Die Furcht und Scham, die er in Wirklichkeit empfand, hielt er verborgen.
Er trug für die Gefahr die Verantwortung. Direkt oder indirekt hatte er der Alien-Defensiveinheit den Anlaß für den Vorstoß zur Erde geliefert. Nun mußte er etwas dagegen tun.
Als erstes gedachte er ein Risiko einzugehen, zu dem wahrscheinlich keine fünf weiteren Personen in der ganzen Orbitalstation bereit gewesen wären. Das eingefleischte Grauen der Menschen vor den Amnion gewährte wenig Spielraum für verwegene Einfalle.
»Unidentifiziertes Amnion-Raumschiff, hier spricht die VMKP-HQ-Stationszentrale…«
»Sie sollten sie jetzt unter Beschuß nehmen«, drängte Sicherheitschef Mandich. Er war keine Minute nach dem Lärmen des ersten Alarms aufgekreuzt. Nachdem er sich rasch einen Überblick der Situation verschafft hatte, war er zu Warden Dios ins Kommandozentrum gestiefelt. »Lassen Sie sie nicht zu nahe herankommen.«
Warden schenkte dem OA-Sicherheitschef einen kritischen einäugigen Blick.
»Was würde denn dadurch erreicht?« Seine aufgesetzte Selbstsicherheit hinderte ihn keineswegs am Sarkasmus. Und so oder so hatte er für Höflichkeit keine Kraft übrig. »Haben Sie nicht die Größe dieses Raumers bemerkt? Das ist eine Defensiveinheit der Behemoth-Klasse. Unsere Artillerie kann sie nicht einmal kitzeln. Sie feuert nicht. Sie könnte es« – die Scanningmessungen zeigten an, daß die Bordwaffen der Defensiveinheit geladen waren, die Zielcomputer auf Hochtouren arbeiteten –, »aber sie schießt nicht. Nach dem Emissionsprofil verfügt sie über ein Superlicht-Protonengeschütz.« Das Scanning bestätigte die
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