Amnion 5: Heute sterben alle Götter
wiederholte Mandich. »Sie könnten uns doch schon jetzt abknallen. Das haben Sie selber gesagt. Was hat die Position damit zu tun?«
Warden Dios hob die Schultern; ersparte sich eine Antwort.
»Vielleicht wird es ersichtlich«, sinnierte Hashi Lebwohl, ohne jemanden Bestimmtes anzusprechen, »wenn wir sehen, welche Position sie anstrebt.«
Damit deutete er auf verhohlene Weise an, daß er wußte, was auf dem Spiel stand.
Mandich warf dem DA-Direktor einen bösen Blick zu. Möglicherweise glaubte er, in einer derartigen Situation wäre eine Position so gut wie die andere. Falls es sich so verhielt, irrte er sich. Er war ein fähiger Sicherheitsoffizier; aber um in Min Donners Abwesenheit die Bürde ihres Amts zu tragen, hatte er keine Qualifikationen.
»Wenn Sie uns nicht antworten, müssen wir unterstellen, daß Sie feindliche Absichten verfolgen…«
Der Druck des Wartens schien Dios’ Herz Schweiß zu entpressen. Dennoch saß er still und gab seine geheimen Nöte nicht preis.
»Polizeipräsident«, raunte auf einmal ein Kommandozentrum-Techniker, »die Defensiveinheit richtet die Geschütze.«
Sofort drehte sich Dios dem Mann zu. Seine Hände ruhten wie Greifer auf den Armlehnen des Sessels.
»Sehen Sie hier, Sir.« Der Techniker deutete auf einen Monitor, auf dem eine dreidimensionale Scanningprojektion der Defensiveinheit rotierte; sie benutzte kleine Lenkdüsen, um die Flughöhe zu korrigieren. »Da.« Er tippte Tasten, und ein leuchtkräftiger Indikator markierte eine Stelle an der ausgebauchten Rumpfseite des Amnion-Raumers. »Dort befindet sich die Protonengeschützmündung. Falls sie mehr als ein Protonengeschütz hat, konnten wir’s bisher nicht erkennen. Der ständige Bremsschub verzerrt einige unserer Messungen, aber bei dieser Entfernung…« Der Mann zauderte, entschloß sich dann doch zu einer Aussage. »Wir können weitgehend sicher sein, welche Ziele sie anvisiert.«
Zum Unglück des Technikers war Polizeipräsident Dios über jede Zögerlichkeit hinaus. »Und das sind?« fragte er in scharfem Ton.
Der Techniker holte tief Luft. »Fünf Materiekanonen zielen auf uns.« Er konnte nicht verhindern, daß seine Stimme zitterte. »Zudem liegen wir im Schußfeld mindestens dreier Torpedoschächte. Aber das Protonengeschütz ist auf Suka Bator gerichtet.«
Genau das hatte Warden Dios befürchtet. Zweifelsfrei hatte man an Bord der Defensiveinheit seine Gründe dafür, noch nicht das Feuer eröffnet zu haben. Trotzdem war man sich offensichtlich über die taktischen Möglichkeiten der Situation im klaren.
»Sie haben das interstellare Hoheitsgebiet des Human-Kosmos verletzt. Wir stufen Ihr Verhalten als Kriegshandlung ein…«
»Es bleibt Selbstmord«, murmelte Sicherheitschef Mandich. »Nehmen wir mal an, sie schaffen es, das Regierungskonzil auszuradieren und uns zu vernichten. Von mir aus auch die VMK-Orbitalstation, verdammt noch mal. Sie kommt doch nicht davon. Und wir werden ’n Gegenschlag führen. Wir haben neun Raumstationen im Human-Kosmos verteilt, alle mit einsatzbereiten militärischen Kräften. Außerdem haben wir Raumschiffswerften und Produktionskapazitäten, gegen die sie nicht anstinken können. Wir schlagen im Bannkosmos dermaßen tief und hart zu, daß sie einsehen müssen, der Schaden, den sie hier verursacht haben, war bloß ’n Mückenstich. Wenn sie ’n Krieg haben wollen, zum Donnerwetter, sollen sie’s bitter büßen.«
Warden Dios sah von jedem Kommentar ab. Natürlich hatte der Amnioni noch nicht das Feuer eröffnet. Und voraussichtlich tat er es nicht, solange man ihn nicht dazu zwang. Er hatte die Erde angeflogen, weil es ihm mißlungen war, die Posaune zu eliminieren. Der Auftrag, der ihn ins Massif-5-System gebracht hatte, war unverändert gültig.
Allerdings fand Dios darin keinerlei Trost.
Über die verschmierten Brillengläser hinweg betrachtete Hashi Lebwohl einen Moment lang die Scanningprojektion, dann wandte er sich an den Polizeipräsidenten. »Liege ich richtig mit der Erwartung«, fragte er in zweideutigem Tonfall, »daß Direktorin Hannish inzwischen unterwegs ist?«
Seine Frage rührte an den Kern der gesamten Furcht Warden Dios’. »Das Shuttle hat vor einer Stunde abgelegt«, gab er sachlich Auskunft. »Falls nicht irgendwer zu schießen anfängt, landet sie auf Suka Bator, bevor die Defensiveinheit das Bremsmanöver abgeschlossen hat. Angesichts der Umstände wird das Regierungskonzil die Krisensitzung eröffnen, sobald sie eintrifft.
Weitere Kostenlose Bücher