Amnion 5: Heute sterben alle Götter
Vorstellung, sich freiwillig in die Klauen der Amnion zu begeben. Es aufzuschieben, konnte er sich überhaupt nicht leisten.
Ihm war danach zumute, allein zu sein. Seit langem schon beschritt er den Weg in den Untergang, aber jetzt, da er dem Höhepunkt der Krise entgegenstrebte, empfand er den Wunsch, seine Kräfte zu sammeln, sein Herz zu verhärten. Leider wurde ihm dazu die Möglichkeit verwehrt. Hashi Lebwohl bestand darauf, mit ihm zu den Stationsdocks zu gehen.
Direktor Lebwohl hatte persönlich einige Gegenstände für den Polizeipräsidenten geordert. Noch bevor die zwei Männer das Operative Kommandozentrum verließen, war in atemloser Hast ein DA-Techniker eingetroffen und hatte zweierlei gebracht, das Hashi Lebwohl daraufhin wortlos Warden Dios überreichte: eine Atemmaske sowie eine schwarze Kapsel von der Größe eines Hustenbonbons und von unheimlichem Aussehen. Dios hatte beides, ebenfalls ohne Kommentar, in die Tasche gesteckt. Statt dem DA-Direktor zu danken, hatte er ihm gestattet, ihn zur Stationszentrale hinauszubegleiten.
Angestachelt durch Furcht und Wut, legte Warden Dios ein forsches Tempo vor, ohne auf Hashi Lebwohls lasche Gangart Rücksicht zu nehmen. Dennoch konnte Lebwohl mithalten.
Der DA-Direktor bewahrte Schweigen, bis sie sich in den allgemeinen Korridoren des VMKP-HQ befanden und sie keine Zuhörer mehr hatten. Erst da ergriff er in ungewöhnlich ernstem Ton das Wort.
»Erlauben Sie mir die Bemerkung, Polizeipräsident, daß Sie meiner Ansicht nach einen Fehler begehen. Die Amnion haben nichts mit Ihnen zu diskutieren. Das ist reiner Betrug.« Seine Stimme klang nach Gewißheit. »Sie wollen Sie als Geisel.«
»Als Geisel?« Warden Dios wußte genau, was Lebwohl meinte, aber wünschte es von ihm zu hören.
»Als Druckmittel gegen die Rächer«, erklärte Hashi Lebwohl. »Wie sollten sie sonst von uns erpressen können, was sie verlangen?«
»Die Rächer ist nicht hier«, wandte Dios kurzangebunden ein.
»Sie kommt in Kürze an«, erwiderte Lebwohl. »Ohne Zweifel benutzt Direktorin Donner die Gabriel-Priorität, um sich Isaak zu unterstellen. Anschließend kehren Rächer und Posaune mit Höchstgeschwindigkeit heim.«
Warden Dios hatte niemandem erzählt, daß ihm von Holt Fasner befohlen worden war, Angus Thermopyle der Willkür Nick Succorsos auszuliefern.
»Selbstverständlich bringt ihre Rückkehr gewisse Vorteile mit sich«, räumte Hashi Lebwohl ein. »Bestimmt läßt Direktorin Donner diese unselige Dauerfunksendung der Posaune beenden. Dadurch fühlen die Amnion sich weniger bedroht. Es kann sein, daß die Stiller Horizont infolgedessen weniger schnell geneigt ist, unmittelbar nach Ankunft von Posaune und Rächer das Feuer auf beide Raumschiffe zu eröffnen. Im übrigen erhöht sich jedoch die Gefahr für die Amnion. Die zwei Raumschiffe werden sich dann in den Kordon der Einheiten einreihen, die sich zur Abwehr der Stiller Horizont bereithalten, ihre Ankunft bedeutet für uns eine Verstärkung, wogegen die Position der Defensiveinheit geschwächt wird. Darum versucht Marc Vestabule den Erfolg seiner Aktion durch das einzige Mittel zu erzwingen, von dem er sicher sein darf, daß man auf der Rächer davor Respekt hat, nämlich mit Ihnen als Geisel.«
Eben erst hatte Warden Dios erlebt, wie abträglich die Treue seiner Untergebenen den Plänen sein konnte, die er verfolgte. »Genau das ist einer der Gründe«, gab er mit Nachdruck zur Antwort, »warum Min Donner an Bord ist.«
Min Donner war möglicherweise die einzige VMKP-Offizierin, die dazu fähig sein mochte, den Mann, dem sie diente, zu opfern. Auf alle Fälle konnte man sich darauf verlassen, daß sie unter den richtigen Umständen den Befehl verweigerte.
Unter diesen Umständen war sie deshalb, was die Gefährlichkeit anbelangte, Marc Vestabule ebenbürtig.
»Ach.« Hashi Lebwohls Laut bezeugte den Anklang eines Staunens, das an Verehrung grenzte. »Auch das haben Sie vorausgesehen.«
Verdrossen runzelte Dios die Stirn. »Nicht gerade genau so.« Um sich ausfragen zu lassen, war er nicht in der passenden Laune, und sich mit Idolatrie herumärgern zu müssen, hatte er schon gar keine Lust. »Aber etwas ähnliches.«
Hashi Lebwohl gab keine Ruhe. »Entschuldigen Sie, Polizeidirektor Dios«, sagte er, »ich verstehe noch immer nicht richtig, was…«
»Dann lassen Sie die Finger davon«, fuhr Dios ihn an. »Es ist nicht Ihr, sondern mein Problem.«
Doch er schämte sich augenblicklich für seine
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