Amnion 5: Heute sterben alle Götter
Grobheit. Stets hatte Hashi Lebwohl seinen Dienst in der VMKP mit Integrität, Ideenreichtum und Beharrlichkeit verrichtet – zumindest nach seinen eigenen Maßstäben. Bei einem DA-Direktor mußten sein Hang zu ausgeklügelten Geheimplänen und sein überaus phantasievolles Interpretationsvermögen sogar als wertvolle Tugenden eingestuft werden. Seine Schuld war es nicht, daß er bisweilen die Triebkräfte mißverstand, die Warden Dios Handeln bestimmten.
»Ihnen bleibt während meiner Abwesenheit genügend übrig«, fügte Dios freundlicher hinzu, um die Wirkung seines Zornausbruchs abzumildern, »worüber Sie sich den Kopf zerbrechen können.«
»Ich werde tun, was ich kann.« Hashi Lebwohls Antwort klang ungewohnt gedämpft; auf eine für ihn fremdartige Weise eingeschüchtert. »Insbesonders will ich versuchen, unsere Ermittlungen in Sachen Clay Imposs und Nathan Alt erfolgreich abzuschließen.«
Ausgerechnet in diesem Moment jedoch interessierte Warden Dios sich nicht im geringsten dafür, zweigte er für Kaze oder das EKRK keine Aufmerksamkeit ab. Völlig unvermutet übermannte ihn das Verlangen, verstanden zu werden.
So lange hatte er derartig viele Lügen erzählt und dermaßen viele Geheimnisse gehütet, daß er es kaum noch zu ertragen vermochte. Der Gedanke daran, allein an Bord der Stiller Horizont zu gehen, erschwerte ihm jetzt die selbstauferlegte Isolation von jedem, der ihn schätzte oder achtete, bis zur Unerträglichkeit. Unverändert hielt er alles, was er getan hatte, um sein Versagen wiedergutzumachen, für vollauf begründet. Trotzdem war er sich darüber im klaren, daß keiner der Menschen, denen er vertraute – Hashi Lebwohl, Min Donner, Koina Hannish, Angus Thermopyle und Morn Hyland –, die Art und Weise verdiente, in der er sie manipuliert und benutzt hatte. Jetzt verspürte er auf einmal aus tiefstem Herzen den brennenden Wunsch, seine Seele zu offenbaren. Für eine regelrechte Beichte hatte er keine Zeit keine Zeit und keinen Mut. Aber er konnte Hashi Lebwohl eine Andeutung geben. Zweifelsfrei genügte dem DA-Direktor eine Andeutung.
»Hören Sie her«, meinte er ohne Einleitung. »Ich muß Ihnen etwas sagen, eine zweite Gelegenheit kann ich nicht abwarten.«
Obwohl die Korridore menschenleer waren, der Gefechtsalarm sie leergefegt hatte, sprach er mit gesenkter Lautstärke. Allerdings widerstand er der Versuchung, den Kopf zu Lebwohl hinabzubeugen. Vielmehr behielt er seinen schnellen Gang bei, nötigte den DA-Direktor fortgesetzt zum Traben.
»Ich hatte mehr als einen Grund, um Min Donner an Bord der Rächer zu schicken. Ich wollte sie vor dem bewahren, was auf Suka Bator passiert. Daß Koina Hannishs Enthüllungen sie verwirren. Und daß sie dazu beiträgt, Morn Hylands Leben zu retten. Ich habe es ihr sogar ausdrücklich befohlen. Weil ich hoffe, daß…«
Er sprach, ohne einen Seitenblick auf Hashi Lebwohl zu werfen.
»Morn Hyland und Angus Thermopyle haben meine Erwartungen längst weit übertroffen. Diese Formel in die Welt hinauszufunken, du lieber Himmel! Ich hätte nie gedacht, daß sie die Mittel und Wege finden, um so lange zu überleben und soviel Unruhe zu stiften. Aber ich erhoffe mir noch mehr.«
Lebwohl zischte leise durch die Zähne; ansonsten jedoch verzichtete er auf Zwischenbemerkungen.
»Wenn Morn Hyland da ist«, erläuterte er, »hoffe ich« – inständigst hoffte er es –, »sie ist auszusagen bereit, daß wir Angus Thermopyle hereingelegt haben.« Denn damit konnte sie Holt Fasners Macht bis in ihre Grundfesten erschüttern. »Und wenn sie dazu die Bereitschaft hat, ist Min Donner der einzige Mensch mit genug moralischer Konsequenz, um es zuzulassen.« Das Regierungskonzil mißtraute Hashi Lebwohl. Und Warden Dios stand davor, durch Koina Hannish gründlich desavouiert zu werden. »Vielleicht überredet sie Morn Hyland zum Aussagen. Auf jeden Fall kann sie dafür sorgen, daß das Regierungskonzil ihr Gehör schenkt.«
Ist das deutlich genug? fragte er stumm. Muß ich mich noch klarer ausdrücken?
Noch immer schwieg Hashi Lebwohl. Nach ein, zwei Augenblicken zwang sein Schweigen Warden Dios, ihm den Kopf zuzuwenden.
Lebwohl räusperte sich, ohne Dios’ Blick zu erwidern. »Sagen Sie mir adieu, Polizeipräsident Dios?« Unvermutete Gefühle beengten ihm die Kehle. »Erwarten Sie, so wie ich, daß Marc Vestabule Sie, sind Sie erst einmal seine Geisel, nie mehr freiläßt?«
»Nicht unbedingt.« Grimmig zuckte Warden Dios die Achseln. »Wer
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