Amnion 5: Heute sterben alle Götter
zurücklegten, zerfranste die Zuversicht, in die sie sich hineingesteigert hatte; verwehte langsam im Sonnenwind der Weite zwischen den Sternen. Beunruhigung und Bedauern erfaßten ihr bedrängtes Herz. Ein hartnäckiges Gefühl, daß etwas falsch lief, beeinträchtigte die Überzeugung von der Richtigkeit ihres Handelns, und die Ursachen waren ihr ohne weiteres erkennbar.
Eine war die Tatsache, daß die Rächer es versäumt hatte, die Stiller Horizont zu vernichten.
Das Davonkommen des Amnioni war schlimm genug; gefährlich genug. An Bord des Alien-Raumschiffs befanden sich mutagenverseuchte Blutproben Morns; dort hatte man Vectors Funksendung aufgefangen, kannte man seine Formel. Aber davon ging nicht die gesamte Gefahr aus.
Davor hatte die Stiller Horizont die Posaune entwischen lassen müssen: Das Alien-Kriegsschiff hatte es vorgezogen sich zu wehren, anstatt ihr Opfer zu eliminieren, obwohl die Logik der Situation im Grunde genommen vorschrieb, unbedingt das Ende der Posaune herbeizuführen. Die Entscheidung des Amnioni mochte durch die Überlegung erklärlich sein, daß er nicht hatte sicher sein können, das Ziel auf Anhieb zu vernichten und deshalb die eigene Zerstörung nicht riskieren durfte. Indessen waren für Morn auch andersartige Beweggründe denkbar…
Zunächst hatte sie geglaubt, der Amnioni hätte sich aufs Überleben verlegt, um mit der Kenntnis von Vectors Immunitätsmedikament in den Bannkosmos heimzukehren. Mittlerweile jedoch konnte sie sich sonstige schreckliche Weiterungen vorstellen. Bestand die Möglichkeit, daß die Amnion über andere Mittel und Wege verfügten, um die Posaune zu attackieren oder zu neutralisieren? Hatten sie Kontakte zu noch mehr Raumschiffen wie der Sturmvogel, Raumern mit menschlicher Besatzung, die im Human-Kosmos lauerten, im Hinterhalt auf den Interspatium-Scout warteten? Gab es geheime Vereinbarungen der Amnion mit Holt Fasner, die im Interesse seiner Profite die Zukunft der Menschheit schädigten?
Abgesehen von den Gründen, die sie Min Donner genannt hatte, behielt Morn die Bordrotation der Rächer genau deshalb bei, weil sie den Flug verlangsamte. Sie wollte später im heimatlichen Sonnensystem eintreffen, als ihre Gegner annahmen. Sie hoffte, sie auf diese Weise offen, sozusagen auf dem Sprung, zu ertappen, statt sie irgendwo außer Sicht hinter sich lungern zu haben. Möglichst sollten sie die Falle schließen, ehe sie hineinging.
Zu allem Unglück litt sie an zusätzlichen Belastungen.
Sie hatte Min Donner darüber, was sie eigentlich tat und warum –, nicht einmal die annähernde Wahrheit mitgeteilt. Ihre Befürchtungen hinsichtlich Holt Fasners Reaktionen auf ihr Unterfangen – und damit die Reaktionen der VMKP – waren von ihr nicht mit der OA-Direktorin erörtert worden. Und sie hatte nicht erwähnt, was geschehen konnte, sollte die Rächer, jetzt oder später, unter Hoch-G-Bedingungen fliegen. Dennoch dämmerte ihr, während die Zeit elend langsam verstrich, allmählich die Einsicht, daß Min Donner ihre Geheimnisse längst kannte.
Trotz der unübersehbaren Unzulänglichkeiten der Erklärungen Morns stellte die OA-Direktorin ihr keinerlei bohrende Fragen. Schweigsam, unnahbar wie ein steinernes Denkmal, duldete Min Donner, daß Morn auf der Brücke das Kommando ausübte, sprach nur, wenn Morn sie etwas fragte, oder wenn sie der Ansicht war, sich um die Crew des Polizeikreuzers kümmern zu müssen. In wenigstens diesem Umfang betrachtete sie sich anscheinend lediglich als Vertreterin Kapitänhauptmanns Ubikwe. Doch irgendwie vermittelte ihre Zurückhaltung das Empfinden, daß sie über Morns Hyperspatium-Syndrom Bescheid wußte.
Anfangs verwirrte Morn dieser Eindruck. Dann jedoch erinnerte sie sich daran, daß Angus mehrere Wochen, während man ihn unifizierte, im Gewahrsam der VMKP-DA zugebracht hatte. Wahrscheinlich wußte Min Donner daher alles, was Angus je über Morn erfahren, ihr angetan oder von ihr verlangt hatte, bis hin zu dem Zeitpunkt, als Nick Succorso mit ihr von der KombiMontan-Station türmte. Min Donner wußte von Morns Zonenimplantat…
Inzwischen gehörte es für Morn zum Alltag, daß Angus, Mikka, Davies und Vector davon Kenntnis hatten; der lange, vertraute Umgang mit ihnen machte es zur Selbstverständlichkeit. Aber die Vorstellung, daß auch die OA-Direktorin es wußte, erfüllte sie mit Scham, gegen die sie so wenig Abhilfe kannte, für die sie so wenig Trost fand, wie es sich mit dem heißen Kribbeln ihres verletzten
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