Amnion 5: Heute sterben alle Götter
galt.
»Von Anfang an ist offensichtlich gewesen«, stellte sie klar, »daß sich die Hauptdrohung des Amnioni gegen Suka Bator richtet. Sobald ein Kampf ausbricht, sind wir alle hier so gut wie tot. Aber bislang hat die Stiller Horizont keinen Schuß abgegeben. Es ist eindeutig, daß der Amnioni etwas von uns will – irgend etwas, das ihm wichtiger als die Chance ist, uns Schaden zuzufügen. Eventuell ist er hier, um überzulaufen. Oder um ein Überlaufen zu verhindern.« Koina erwähnte diese abwegigen Möglichkeiten in der Hoffnung, dadurch die geballte Furcht der Versammelten in gewissem Umfang zu lindern. »Wir haben zahlreiche Gründe zu der Annahme, daß die Amnion einen offenen Krieg scheuen. Polizeipräsident Dios ist an Bord der Stiller Horizont gegangen, um herauszufinden, was der Amnioni will. Und um Verfahren zu diskutieren, durch die, wenn machbar, die Wünsche des Amnion befriedigt werden können, ohne den Schutz des Human-Kosmos zu gefährden, ohne unvorstellbare Verwüstungen über den Planeten zu bringen und ohne die Sicherheit des Regierungskonzils zu gefährden.«
Zum zweitenmal verwarf Sen Abdullah die Höflichkeit zu warten, bis Len ihm das Wort erteilte. »Ist der Polizeipräsident der Ansicht, daß er das Recht hat, derartige Entschlüsse zu fassen?«
Koina behielt ihr öffentlichkeitswirksames Lächeln makellos bei. »Konzilsdeputierter Abdullah, an Ihrem Platz steht ein Computerterminal. Wenn Sie wollen, können Sie also den genauen Wortlaut der Kriegsrechtsklausel nachlesen. Oder Sie können mir glauben, daß der Polizeipräsident der Pflicht nachgeht, die er zu tun geschworen hat. Unter Kriegsbedingungen ist die VMKP – und zwar ausschließlich die VMKP – für die Verteidigung des Human-Kosmos und die Beschützung der Menschheit verantwortlich.«
Endlich raffte sich der Konzilsvorsitzende zu einer Anstrengung auf, um die Ordnung wiederherzustellen. »Bitte beruhigen Sie sich, Konzilsdelegierter Abdullah«, rief er in nachgerade weinerlichem Tonfall. »Uns allen ist geläufig, daß Sie von Polizeipräsident Dios keine gute Meinung haben. Ich verspreche Ihnen, daß Sie Ihre Gelegenheit zum Reden erhalten.« Aus Koina undurchsichtigem Beweggrund warf Len einen kurzen Blick in Maxim Igensards Richtung. »Ich erteile Ihnen sogar als nächstem das Wort – das heißt, sobald ich fertig bin. Aber ich muß Sie bitten, keine Zeit damit zu verschwenden, Anstoß am Besuch des VMKP-Polizeipräsidenten auf der Stiller Horizont zu nehmen. Wie Direktorin Hannish dargelegt hat, geschieht es in der Absicht, uns das Leben zu retten. Egal, was Sie von ihm denken, Sie werden sich wohl kaum zu dem Verdacht versteigen, er täte etwas Derartiges zu unserem Nachteil. Noch nie hat irgend jemand Polizeipräsident Dios des Verrats bezichtigt.«
»Bisher nicht«, murrte Abdullah ungehalten. Doch anstatt fortzufahren, setzte er sich und hielt den Mund.
Abrim Len atmete sichtlich erleichtert auf, dann nickte er Koina zu. »Besten Dank, Direktorin Hannish. Ich bin mir sicher, daß später noch mehr Fragen gestellt werden. Fürs erste haben Sie uns eine bewundernswert gründliche Darstellung der Situation vorgetragen.«
Koina nahm wieder Platz. Im Nachhinein merkte sie, daß ihr die Knie zitterten. Schweißrinnsale sickerten ihr die Rippen und den Rücken hinab. Unwillkürlich schaute sie Cleatus Fane an, um seine Reaktion zu sehen.
Er erwiderte ihren Blick und schmunzelte beifällig.
In diesem Moment gelangte Koina Hannish hinsichtlich des Sinns ihres Lebens zu einer endgültigen Festlegung. Als sie erkannte, daß ihre Schilderung der gegenwärtigen Ereignisse der rechten Hand des Drachen gefallen hatte, errang sie Gewißheit über sich selbst: Da wußte sie auf einmal, wer sie war, was sie zu tun hatte. Sie genoß die Gunst des sonst so unheilschwangeren Mannes. Indem sie ebenfalls lächelte, wich ein Teil ihrer Furcht, und ihre Knie hörten auf zu zittern.
Konzilsvorsitzender Len hatte noch das Zepter in der Faust, aber schwang es nicht mehr. »Verehrte Konzilsmitglieder«, sagte er, »lassen Sie uns an die Arbeit gehen.« Anfänglich schwächte ein leichtes Tremolo seine Stimme; doch es verschwand während des Weitersprechens. »Direktorin Hannish hat uns die momentane Krisensituation in Umrissen beschrieben. Nun ist es für uns an der Zeit, die Arbeit zu leisten, für deren Verrichtung wir gewählt worden sind.«
Koina hatte den Eindruck, daß er auswendiggelernte Worte sprach. Vielleicht befürchtete
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