Amnion 5: Heute sterben alle Götter
begangen! In Übereinstimmung mit der Geschäftsordnung übergebe ich das Wort dem Sonderbevollmächtigten Maxim Igensard.«
Len legte sich eine Hand über die Augen. Bedächtig nickte er.
Ach du Scheiße, dachte Koina. Also daher weht der Wind. Nicht von Cleatus Fane. Sondern von Maxim Igensard. Natürlich. Fane mochte sich nicht kompromittieren. Oder vielleicht machte er sich deswegen gar keine Sorge. Vielleicht wußte er ganz einfach, daß Igensard ihm die Mühe abnehmen konnte.
Eben hatte die absehbare Konfrontation mit Sen Abdullahs fanatischer Frechheit Koina noch beunruhigt. Jetzt jedoch erkannte sie, daß der Ostunion-Deputierte ein viel leichterer Gegner als Maxim Igensard gewesen wäre; sogar mit dem GOD hätte sie weniger Ärger gehabt. Abdullah hätte sich selbst das Wasser abgegraben: Er trat zu unverhohlen parteiisch auf, quasselte zu unvernünftig daher, um lange beim Konzil Eindruck zu schinden. Und Cleatus Fane hatte in Holt Fasners Diensten schon zuviel Geld verdient. Maxim Igensard dagegen durfte sich auf wesentlich größere Glaubwürdigkeit stützen, und wenn aus keinem anderen als dem Grund, daß er keinerlei Klientel, keine einflußreichen Kreise repräsentierte. Solange er seine Pflicht erfüllte, konnte ihm niemand an den Karren fahren, egal, was seine Untersuchung aufdeckte.
Aufgrund seines aufgeblähten Egos und seiner Intelligenz war er für Fane ein idealer Helfershelfer…
Nachdem er aufgestanden war, durchquerte er vorsichtig, wie jemand, der gerne bescheiden wirkte, die dichten Sitzreihen der Versammlung. Mit zwei Schritten erklomm er die Empore. Oben angelangt, ging er ans Pult, stellte sich dahinter auf und faßte mit beiden Händen die Seitenkanten, als wäre er innerlich aufgewühlt und müßte sich stützen. Obwohl er keineswegs so klein war, wie er den Eindruck zu vermitteln versuchte, überragte er den Rand des Pults nur mit Schultern und Kopf.
»Konzilsvorsitzender Len…« Er machte vor Abrim Len einen höflichen Diener. »Verehrte Mitglieder des Erd- und Kosmos-Regierungskonzils, Geschäftsführender Obermanagementdirektor Fane, RÖA-Direktorin Hannish… ich danke Ihnen für Ihre Bereitschaft, mir Ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Ihre Zeit wird nicht vertan sein. Es könnte sein, Sie sind der Auffassung, daß es die Grenzen meines Mandats sprengt, Ihnen im Rahmen der heutigen Krisensitzung einen Vortrag zu halten. Ich bin damit beauftragt worden, den sogenannten Fall Angus Thermopyle zu untersuchen – die Vorgänge um seine Verhaftung, Verurteilung und schließliche Flucht –, nicht mit Kommentaren in Sachen Kriegspolitik. Aus diesem Grund möchte ich zuerst zweierlei erwähnen. Erstens, ich wende mich als ordnungsgemäß ernannter Vertreter des Ostunion-Konzilsdeputierten Sen Abdullah an Sie.« Respektvoll nickte er Abdullah zu. »Ich habe zeitweilig sowohl über sein Rede- wie auch sein Stimmrecht. Sie können sich anhand Ihrer Computerterminals von der Richtigkeit meiner Angaben überzeugen.«
Bewegung erzeugte Geraschel und Geklapper, sobald die EKRK-Delegierten ihre Mitarbeiter anwiesen, Igensards Behauptung nachzuprüfen. Koina jedoch sparte sich die Mühe. Sie war sich völlig sicher, daß er sich in Verfahrensfragen keine Schnitzer leistete.
»Zweitens«, legte der Sonderbevollmächtigte dar, »habe ich mich zu diesem Vorgehen entschlossen, weil ich glaube, daß der Fall Angus Thermopyle für das Erscheinen der Stiller Horizont in unserem Teil des Weltraums sehr wohl große Relevanz hat. Und wenn ich mit meiner Einschätzung im Recht bin, ist das, was ich zu sagen habe, für die Tagesordnung dieser Krisensitzung von ganz unmittelbarer Bedeutung. Und ob es uns gefällt oder nicht, wir werden genötigt sein, den Begriff ›Verrat‹ zu verwenden.«
Koina konnte sich nicht beherrschen. »Verzeihen Sie, Mr. Igensard«, rief sie so laut, daß jeder im Saal es hören mußte. »›Verrat‹ ist ein höchst emotionsbefrachtetes Wort. Bisher haben Sie keinerlei Berechtigung, um es zu benutzen.«
»Die Berechtigung wird mir noch zufallen, Direktorin Hannish«, entgegnete Maxim Igensard sofort. »Zu diesem Zweck habe ich vor, Sie einer kurzen Befragung zu unterziehen. Vielleicht nehmen Sie meine Anklagen ernst genug, um die Fragen wahrheitsgetreu zu beantworten. Aber ich erlange diese Berechtigung mit oder ohne Ihre Mitwirkung.«
Anschließend richtete er seine Aufmerksamkeit wieder aufs Regierungskonzil.
»Wie Sie sich entsinnen, ist die Krisensitzung durch den
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