Amnion 5: Heute sterben alle Götter
Korrekturen vorzunehmen, die erforderlich sein könnten, um Kapitän Thermopyle ›auf Kurs‹ zu halten. Leider jedoch hat Taverner Kapitän Thermopyle und die Posaune hintergangen. Sie an die Amnion verraten.«
»Das glaube ich nicht«, entgegnete Maxim Igensard besserwisserisch. Immer wenn Koina ihn nicht mehr beachtete, postierte er sich aufdringlich am vorderen Rand des Podiums, als wollte er sie nötigen, ihn anzuschauen; sie vor der Versammlung in den Hintergrund drängen. »Thermopyles Geheimoperation muß erfolgreich verlaufen sein. Sonst hätten die Amnion ja keinen Anlaß zu seiner Verfolgung gesehen. Wäre er aber verraten worden, wie sollte er dann Erfolg erzielt haben?«
Koina atmete tief ein und hielt die Luft an, damit sie ihn nicht anschrie. Mit jedem Wort, das sie sprach, kam sie den unangenehmsten Teilen ihrer Enthüllungen näher. Doch der Zorn verlieh ihr Kraft; festigte ihre Entschlossenheit. Ohne daß es ihr aufgefallen war, hatte sie ihre Zittrigkeit überwunden. Und trotz der wiederholten Störungen verlor sie nicht den Faden ihrer Ausführungen.
»Kapitän Thermopyle«, entgegnete sie mit deutlicher Betonung, »hat Erfolg gehabt, weil man den Verrat des Stellvertretenden Sicherheitsdienstchefs vorhergesehen hatte. Polizeipräsident Dios und Direktor Lebwohl hatten die Gefahr erkannt und Vorkehrungen gegen sie getroffen. Allerdings wußte Milos Taverner über noch weitere Geheimnisse Bescheid, die er ausplaudern konnte.« Diesen Schluß hatte Koina nach der letzten Aussprache mit Warden Dios, bei der sie von ihm darüber informiert worden war, weshalb die Posaune das Massif-5-System angeflogen hatte, selbst gezogen. Danach hatte sie in Angus Thermopyles einzigem Funkspruch an den VMKP-Polizeipräsidenten dafür eine indirekte Bestätigung gefunden. »Er hatte Kenntnis von…«
»Einen Moment mal.« Der Sonderbevollmächtigte konnte sie einfach nicht ausreden lassen. »Was soll das heißen, sie ›hatten die Gefahr erkannt‹?« schnarrte er dazwischen. »Inwiefern denn?«
»Sie erfahren’s noch«, verhieß Koina ungnädig. »Wenn Sie mich immerzu unterbrechen, komme ich ja gar nicht zur Beantwortung Ihrer Fragen.«
Ehe Maxim Igensard Gelegenheit zu einer Erwiderung erhielt, ergriff hinter ihm und Koina unvermutet Konzilsvorsitzender Len das Wort.
»Sonderbevollmächtigter, ich muß Sie ermahnen. Bis jetzt habe ich Sie Direktorin Hannish nach Lust und Laune nerven lassen. Aber wenn Sie bei diesem der Sache unzuträglichen Benehmen bleiben, werden ich die strenge Beachtung einer Rednerliste durchsetzen.« Anscheinend war sein Unmut – oder vielleicht seine Sympathie für Koina – größer geworden als seine Neigung zur Versöhnlichkeit; wenigstens für den Augenblick. »Von da an wird jeder, der hier ohne Wortmeldung und Worterteilung Reden schwingt, aus dem Saal gewiesen.«
Freundlich schaute Koina ihn an. »Vielen Dank, Konzilsvorsitzender.« Ein Teil ihres Ärgers verebbte; sie schenkte ihm ein – wie sie hoffte – hinreißendes Lächeln. »Das ist eine große Hilfe.«
»Entschuldigen Sie, Direktorin Hannish«, knurrte Maxim Igensard bissig. »Ich wiederhole die Frage später.«
Koina strafte ihn mit Mißachtung.
Trotz seiner Belästigungen und der Zwischenrufe aus den Reihen der Versammelten war sie jetzt an der Trennlinie angelangt, wo sich Warden Dios’ Absichten von Holt Fasners Wünschen schieden; an der Grenze zur möglichen Katastrophe. Nun mußte sie den ersten Schritt aufs dünne Eis einer drohenden Apokalypse tun…
Ohne Nachricht von Hashi Lebwohl oder Sicherheitschef Mandich.
Hätte sie sich nicht auf die Annahme verlegt, daß Warden Dios Kapitän Thermopyle zu Morn Hylands Befreiung ausgeschickt hatte, hätte es ihr jetzt wohl an den nötigen Kräften gefehlt. Doch ihre unbewiesene Vermutung verhalfen ihr zu der unentbehrlichen Resolutheit.
»Konzilsdeputierte Manse, folgendes dürfte Ihre Fragestellung wenigstens zum Teil beantworten«, sagte sie gelassener als zuvor; sie sparte sich den angestauten Zorn für eine spätere Gelegenheit auf. »Stellvertretender Sicherheitsdienstchef Taverner wußte, daß es sich bei dem in Kapitän Succorsos Besitz befindlichen Medikament – dem von Direktor Lebwohl erwähnten, angeblich falschen Antimutagen – in Wirklichkeit um ein tatsächlich wirksames Immunisierungsmittel gegen Mutagene handelte.«
Im ersten Moment überwältigte ein solcher Schock die Versammlung, daß kein Anwesender einen Laut über die Lippen
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