Amnion 5: Heute sterben alle Götter
geweint hatte – und über die Verletzungen, die Morn von ihm durch eine Tracht Prügel abbekam. Damals war er unsicher gewesen, was ihm mehr Schmerz bereitete. Aber jetzt wußte er es.
Im Vergleich dazu war Morn ein harmloses Verbrechen.
Wie versteinert stand Angus an der Tür, bis er erneut ein beharrliches Raunen der Frau hörte. »Ist da jemand? Ich dachte, ich wäre allein.« Sie stellte die Frage zum zweiten, dritten oder zehnten Mal.
Sie war im Wachzustand; in ihrem scheußlichen Gefängnis noch bei vollem Bewußtsein.
Als hätte die Situation sich plötzlich weitgehend vereinfacht, trabte Angus vom Eingang durchs Zimmer zu Holt Fasners Mutter. Sie war bei Bewußtsein, litt immerzu noch die Martern, vor denen sich Angus sein ganzes Leben lang auf der Flucht befunden hatte. Dieser Sachverhalt änderte alles. Wie Zuckungen des Ekels durchlief ihn ein starkes Zittern; doch die Z-Implantate flößten ihm erneut Gelassenheit ein. Den Kummer und die Erbitterung hingegen, die seine Miene verfinsterten, als er den Blick auf die Frau senkte, konnten sie nicht unterdrücken.
»Sie sind nicht allein«, sagte er mit rauher Stimme. »Ich bin da.«
Soweit er es sehen konnte, schaute sie ihn nicht einmal an. Ihre Augen ruckten unausgesetzt hin und her, jagten auf den Bildschirmen nach Klarheit oder Tod.
»Kapitän Angus Thermopyle.« Heiseres Flüstern. »Mörder. Vergewaltiger. Illegaler. Ich erkenne Sie. Sie stehen mir im Weg.«
Die Laute, in denen sie sprach, hatten zur Folge, daß ihm schier die Haare zu Berge standen und es ihm eiskalt am Rückgrat hinabrieselte. »Ich weiß.« Angus wäre durchaus gerne zur Seite getreten; hätte gerne sein Schaudern in der Düsternis außerhalb des Geflackers der Monitoren verborgen. Aber der Regulierungseinfluß des Interncomputers bannte seinen Körper an Ort und Stelle.
Es schien, als ob die zahnlosen Kiefer der Frau Angus’ Weigerung, sich vom Fleck zu bewegen, für einen Moment durchkauten. »Wenn’s so ist«, sagte sie kaum vernehmlich, »wollen Sie wohl was von mir. Was denn?«
Das Widerliche ihrer Hilflosigkeit erfüllte Angus mit Abscheu. Indem er fest die Zähne zusammenbiß, bekämpfte er einen Brechreiz.
»Verraten Sie mir, wo Holt Fasner ist.«
Ihre Augen beachteten auch weiterhin nur die Geschehnisse auf den Bildschirmen hinter Angus’ Rücken, suchten sich bruchstückweise Erkenntnisse zusammen. »Was krieg ich dafür?«
Angus schnürte sich die Kehle ein. Unablässig rang er mit Übelkeit. »Was fordern Sie?«
Eine schwächliche Anwandlung freudlosen Lachens schüttelte die Frau. Speichel rann ihr übers Kinn. »Kann ich Ihnen nicht sagen. Ich lebe so schon zu lange.«
Unwillkürlich paßte Angus die Lautstärke seiner Stimme ihrem gepreßten Wispern an. »Schon gut«, antwortete er. »Mir ist klar, was Sie sich wünschen.«
Sie verhielt sich, als hätte sie ihn nicht gehört. Für ein Weilchen schwieg sie. »Warden Dios hat sich verbessert«, machte sie schließlich eine verschwommene Bemerkung. »Aber er ist noch immer nicht gut genug.«
Angus hatte keine Ahnung, wieviel sie wußte; wie weit sie die Vorgänge durchschaute. Trotzdem glaubte er aus dem Bauch, daß sie alles verstand.
Druck staute sich in seinem Innern. »Ist es ›gut genug‹«, fragte er und ballte die Fäuste, »wenn er Ihnen die Raumstation um die Ohren zersprengt?« In den Augen der Frau zeigte sich eine Andeutung von Nässe. Winzige Lichtfünkchen und Bilder von Monitoren spiegelten sich in ihrem Blick.
»Nur wenn’s rechtzeitig geschieht.«
»Dann ermöglichen Sie’s mir, ihm zu helfen«, drängte Angus rasch. »Sagen Sie mir, wo Holt Fasner ist.«
Sie lachte ein zweites Mal. »Erst müssen Sie’s mir versprechen.« Ähnlicher konnte ihr Auflachen einem Schluchzen kaum werden. »Geben Sie mir Ihr Ehrenwort. Als Gentleman.«
Angus wußte, weshalb sie zögerte; warum sie vor ihm Furcht hatte. Sie wußte zuviel über ihn – und gleichzeitig zuwenig.
Er trat näher, beugte das Gesicht über sie. »Ich bin kein Gentleman«, versicherte er bitter. »Was Ehre ist, weiß ich nicht. Ich kenne nicht einmal Ihren Namen. Aber ich würde nicht mal ’n Scheißamnioni in dieser Falle lassen.«
Damit sprach er die reine Wahrheit.
»Sie hassen ihn«, sagte er ihr auf den Kopf zu. »Weil er Ihnen etwas Derartiges angetan hat. Das hält Sie am Leben. Wenn Sie mir jetzt nicht dabei behilflich sind, ihm in die Parade zu fahren, lebt er voraussichtlich in alle Ewigkeit.«
Zum
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