Amnion 5: Heute sterben alle Götter
sie sich fest, während sie die Beleuchtung herabdimmte, damit Davies tiefer schlief. Anschließend verließ sie die Kabine und zog sich unter Benutzung des unversehrten Arms in die Richtung des Krankenreviers.
Fast augenblicklich fiel ihr die anomale Stille auf, die im Raumschiff herrschte. Kein leises, ununterbrochenes Summen des Pulsator-Antriebs. Gegenwärtig enthielten die Energieakkumulatoren der Posaune mehr als genug Kapazität, um die Aufrechterhaltung der Lebenserhaltungssysteme zu gewährleisten: Leuchten, Heizung, Luftregeneration, Krankenrevier. Vermutlich funktionierte auch ein Großteil der elektronischen Ausrüstung: Kommandokonsole, Scanninggeräte, Kommunikationsanlagen, Schadensanalyse. Normalerweise lieferte’ allerdings der Betrieb des Pulsator-Antriebs fürs gesamte Raumschiff die Energie, einschließlich für den Ponton-Antrieb. Durch das Fehlen des Antriebsgeräuschs erregte das Innere der Posaune trotz der unübersehbaren Beleuchtung sowie der Heizungswärme einen irrational trostlosen, nachgerade leblosen Eindruck, als wäre sie ein durchs All treibendes Grab oder ein nur noch von Geistern bewohntes Wrack.
Wie lange reichte die Leistungskraft der Energieakkumulatoren aus? Sicher nicht mehr als ein, zwei Tage. Sollte Angus die Antriebe nicht reparieren können, mochte die Folge sein, daß alle an Bord sich sehnlichst wünschten, geortet und gefunden zu werden, egal von wem.
Ein erneuertes Gefühl der Dringlichkeit erhöhte Morns Konzentration. Sie bewegte sich rascher vorwärts.
Sobald sie den Eingang zum Krankenrevier erreichte, klammerte sie die Finger der Rechten an einen Haltegriff, um mit der anderen Hand die Tür zu öffnen. Gleich darauf schwang sie sich um den Türrahmen hinein.
Vector befand sich bei Angus. Während Morn sich an der Seite des Behandlungstischs abfing, drehte der Genetiker, der vor der Computerkonsole stand, sich um und lächelte ihr zu.
»Morn… Wie schön, dich unter den Lebenden zu sehen. Das mit deinem Arm tut mir leid. Aber es freut mich, daß es dir wieder gut genug zum Aufstehen geht.«
Morn ignorierte ihn: Als erstes mußte sie einfach einen Blick auf Angus werfen.
Gehalten durch die Klammern, lag er mit dem Gesicht nach unten auf dem Behandlungstisch, den EA-Anzug herabgepellt bis zur Hüfte. Ein neuer Verband bedeckte die Stelle zwischen den Schulterblättern, wo ihn Davies, um Zugang zu seinem Data-Nukleus zu erhalten, schon einmal aufgeschnitten hatte. Frische Blutflecken sprenkelten das Verbandszeug. Morn roch Metabolitsubstanzen und Antibiotika. Mit gedämpftem Rasseln seines Atems hob und senkte ihm sich seine breite Brust.
Vergessen schaukelte sein Raumhelm an der Wand in der Luft.
Angus reagierte nicht auf Morns Erscheinen. Davies hatte erwähnt, nach der Prognose des Medi-Computers würde er gesunden. Er mußte ebenso gründlich erschöpft wie sein Sohn gewesen sein.
»Er schläft«, sagte Vector, bevor Morn ihm eine diesbezügliche Frage stellen konnte. »Der Medi-Computer ist mit seinem Zustand zufrieden. Aber bis er aufwacht, wissen wir nicht genau, wie’s wirklich um ihn steht. Im Moment haben die Zonenimplantate ihn unter Kontrolle. Ich vermute, daß der Data-Nukleus ihm ’n Genesungsschlaf verordnet hat, um die Heilung zu beschleunigen. Wir haben keine Möglichkeit, um ihn zu wecken, es sei denn, wir fänden ’ne Methode, um einen mit Überlebensreflexen korrespondierenden Bestandteil seiner Programmierung anzusprechen. Man kann sich nicht einmal im entferntesten vorstellen, was seine Aktion da draußen ihn gekostet hat.«
Vector schwieg für einen Moment, bevor er, scheinbar distanziert, weitere Erklärungen abgab. »Wenn ich mir so die Anzeigen ansehe, kommt’s mir so vor, als ob der Medi-Computer eine Diagnose seiner Cyborg-Komponenten vornimmt. Zumindest hätte so etwas einen Sinn. Wahrscheinlich haben dieselben Leute, von denen er unifiziert wurde, dafür gesorgt, daß sich die Computersysteme um die Beibehaltung seiner Funktionstüchtigkeit kümmern. Aber die Computerkonsole verwehrte mir den Einblick in die Ergebnisse. Ich nehme an, ich habe nicht die richtigen Codes.«
Ja, dachte Morn. Das wird’ sein.
Endlich fühlte sie sich ihre Aufmerksamkeit von Angus abzuwenden imstande. Sie hob den Kopf; rang sich ein Lächeln ab, um Vector ihre Dankbarkeit für sein Interesse an ihrer Verfassung zu zeigen.
Nun gewahrte sie die aschgraue Tönung seiner Haut, die Langsamkeit seiner Bewegungen. Trotz seiner vertrauten ruhigen
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