Amnion 5: Heute sterben alle Götter
die Wirkung der Medikamente nachließ, kehrten ihr mehrerlei körperliche Wahrnehmungen zurück.
»Das klingt ja vielversprechend«, antwortete sie, um zu verhehlen, daß die Beschwerden sie unwillkürlich verkrampften. »Laß dir nicht zu lange Zeit. Offenbar bin ich auf bestem Weg, gesund zu werden, sonst hätte ich wahrscheinlich keinen solchen Appetit.«
Vorsichtig wandte sie sich dem Ausgang zu.
Sie wollte die rechte Hand nicht mehr gebrauchen. Allerdings erwies sich ohne sie das Vorwärtsgelangen in der Nullschwerkraft als umständlich. Der Tastendruck, der die Tür öffnete, stieß sie rückwärts ab. Aber Morn hatte insofern Glück, als sie einen Fuß an ein Bein der Behandlungsliege haken und sich auf diese Weise, wenn auch wenig elegant, zum Krankenrevier hinausschwingen konnte.
Im Korridor kam sie leichter voran, weil sich keine Türen vor ihr befanden. Von Haltegriff zu Haltegriff bewegte sie sich, indem sie gut auf den Gußverband achtgab, in Richtung der Brücke.
Am Geländer des Aufgangs fing sie sich ab, um sich von da aus zur Kommandokonsole zu orientieren.
Sofort sah sie Mikka.
Nicks ehemalige Erste Offizierin saß, Morn den Rücken zugekehrt, auf dem einem derartigen Rang vorbehaltenen Platz der Posaune. Ihr Kopf hing über den schlaffen Händen und der Tastatur, als wäre sie mitten in der Arbeit eingedöst.
Neuer Schmerz. Mit dem Schwinden der Medikamentenwirkung spürte Morn immer mehr Beschwerden.
Vector behielt nochmals recht: Mikka hatte über Gram und Scham nicht lange genug hinwegsehen können, um sich in die Koje zu legen.
Ebensowenig schlief sie in dem Sitz. Sobald Morn ein Geräusch verursachte, hob Mikka den Kopf, schaute sich um.
Ihre Gesichtszüge waren verhärmt geworden, hagerer; ausdruckslos infolge von Ausgelaugtheit und Trübsal. Wo Angus zugeschlagen hatte, bedeckte noch immer ein Verband einen Teil der Stirn und ein Auge; er hatte ihr fast den Schädel eingedroschen. Müdigkeit verschleierte ihren Blick, doch ihr tiefer Jammer spiegelte sich im unversehrten Auge zu düster wider, um verheimlicht zu werden. Ihre gewohnheitsmäßig finstere Miene hatte das Kantige hitziger Streitbarkeit verloren; statt dessen glich sie dem Inbegriff einer geballten Anstrengung, die die Auswirkungen einer seelischen Krise verbergen sollte. Mikka ähnelte einer Frau, die keine Gründe zum Weiterleben mehr hatte – und deswegen sich selbst verabscheute.
»Morn…« Ein gepreßtes, kaum verständliches Krächzen. »Ich bin froh…« Ihre Stimme erstickte, als fehlten ihr für alles Frohe die Worte.
Ihr Anblick schmerzte Morn geradeso wie die gebrochenen Armknochen. Sie stieß sich vom Durchstieg ab, schwebte zur Rücklehne von Mikkas Andrucksessel. »Mikka…« Zu gerne hätte sie die Frau in die Arme geschlossen, sie irgendwie zu trösten versucht. Aber das war natürlich unmöglich. Sie brauchte den linken Arm, um sich am Sitz des Ersten Offiziers festzuhalten. »Du solltest nicht hier rumsitzen. Schau dich doch mal an. Du hast Erholung nötig.« Starkes Mitgefühl quoll in ihr empor und beengte ihre Kehle. »Guter Gott, du brauchst dringend Ruhe.«
Mikka vollführte eine knappe, fahrige Bewegung. »Ich weiß.« Ihr Blick schweifte ab. »Nur finde ich keine.«
Rasch verschaffte sich Morn einen Überblick der Monitoren, entdeckte auf einem Bildschirm eine Scanningdarstellung. Irgend jemand, wahrscheinlich Mikka, hatte dafür gesorgt, daß diesem Monitor von den Sensoren und Vakuumvestigatoren ein permanenter Datenstrom zufloß. Den Instrumenten der Posaune zufolge gab es nirgendwo in ihrem Umkreis andere Raumschiffe. Tatsächlich ließ sich ringsum nichts als die schwarze Weite des Alls und das Glitzern unerreichbarer Sterne erkennen. Nur feine Staubschwaden durchzogen die Luftleere.
Ohne Zweifel konnte die Astrogation die Position des Interspatium-Scouts ermitteln; vielleicht war es längst geschehen. Allerdings hatte diese Information keinen Nutzen. Morn entnahm den Zahlen, daß sie bei der gegenwärtigen Geschwindigkeit erst in Jahrzehnten im nächsten Sonnensystem einträfen.
Solange kein anderes Raumschiff auf dem Scanningbildschirm erschien, hatte die Posaune nichts zu befürchten. Und ebensowenig etwas zu hoffen.
»Mikka«, sagte sie so freundlich, wie sie es fertigbrachte, »du bist nicht allein an Bord. Vector tut, was er kann. Ich habe mich inzwischen gründlich ausgeschlafen. Angus wacht voraussichtlich bald auf. Du brauchst dich nicht um alles zu kümmern.«
»Ich
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