Amnion 5: Heute sterben alle Götter
weiß«, wiederholte Mikka unterdrückt. »Ich versuche ja, nicht die Märtyrerin zu spielen. Aber Ciro… Er ist in der Kabine. Ich kann’s…« Ihr Kopf sank nach unten, als ob ihre Halsmuskulatur erlahmte. »Ich halt’s in seiner Nähe nicht aus.«
»Weil er die Antriebe sabotiert hat?« fragte Morn mit verhaltener Stimme. »Weil er Sorus Chatelaine gehorsam war, obwohl Vector ihn vor ihrem Mutagen bewahrt hat?«
Bist du dermaßen wütend auf ihn?
Mikka schüttelte matt den Kopf. »Das gleiche hätte mir auch passieren können…«
Wieder verstummte sie. Als sie weitersprach, klang ihre Stimme geradeso peinvoll, wie Morns Arm schmerzte.
»Er hat getan, was von ihm verlangt wurde. Für ihn ist die Sache jetzt ausgestanden. Es ist alles vorbei… Er liegt nur da und weint. Nicht daß er schluchzt. Er gibt keinen Mucks von sich. Er liegt einfach da, und die Tränen laufen ihm übers Gesicht. Er will nicht mit mir reden. Ich bin mir nicht mal sicher, ob er mich hört. Ich glaube, er ist vor lauter Elend taub. Er ist ja praktisch noch ’n Kind. Was ihn betrifft, hat er uns allesamt so gut wie umgebracht. Das war für ihn ohne jede nachvollziehbare Bedeutung, bis er getan hatte, was er tun sollte. Anders konnte es auch gar nicht sein. Sorus Chatelaine hatte ihn in völlige Konfusion gestürzt. Aber jetzt… Ich vermute, er weiß überhaupt nicht, wie er das Ganze nun verwinden soll.«
Mikkas Kopf hing über der Konsole. Sie konnte ihn schlichtweg nicht mehr hochhalten. »Er ist alles, was ich habe.« Ihre Stimme klang so leise und verschlissen wie das gedämpfte Winseln der Klimaanlagen-Skrubber. »Alles was ich je hatte. Und ich habe ihn in das alles hineingerissen. Ich habe Nick dazu überredet, ihn an Bord zu nehmen. Damals dachte ich, damit wäre unser Leben gesichert… Und jetzt ist alles im Eimer.« Sie verfiel ins Leiern. »Jetzt hat er so etwas angestellt und kann es nicht mehr ändern. Wenn ich’s nicht schaffe, die Antriebe für ihn zu reparieren, ist es mit allem aus.« Schmerz schliff Morns Reaktion zu einer gewissen Schärfe. Sie schätzte Mikka zu sehr, um stumm mitanzuschauen, wie sie litt. Und Mikka war ganz einfach zu abgekämpft, um sich aus eigener Kraft der Gravitationsquelle ihrer Verzweiflung entziehen zu können. Irgendein Eingreifen war unumgänglich.
»Ich kann dir nicht widersprechen.« Morn wählte ihre Worte sorgsam und hoffte, es gelang ihr, sie so aneinanderzureihen, daß Mikka keine Möglichkeit hatte, sie zu widerlegen oder zurückzuweisen. »Schließlich bist du der einzige Mensch, der weiß, was für dich wichtig ist. Wahrscheinlich möchtest du gar nicht hören, wie oft du mir das Leben oder wie oft du das ganze Raumschiff gerettet hast. Sicher magst du nichts davon wissen, daß wir dir, weil du Vector und Sib dazu überredet hast, sich mit dir gegen Nick zu stellen, unsere einzige Hoffnung verdanken, die einzige Chance für uns alle, uns aus der Bredouille zu winden. Ohne dich hätten Vector und Sib in Kassafort festgesessen, wir wären nie zum Schwarzlabor geflogen, Vector hätte die Formel nicht, Nick wäre noch am Leben… Vermutlich willst du auch nicht von mir hören, daß ich es genausowenig ertragen kann, dich so zu sehen, wie du es magst, Ciro in seinem Zustand zu erleben…« Und Ciro war weiß Gott alt genug, um selbst die Verantwortung für allen von ihm angerichteten Unfug zu übernehmen.
Nadeln schienen sich in Morns Gelenke zu bohren, in ihr Knochenmark. Irrationaler Zorn schwoll in ihr an, der Drang, Mikka anzuschreien, um die Schmerzen zu bändigen. Wenn Vector nicht bald mit Essen und Kaffee auf der Brücke eintraf, für Ablenkung sorgte, mochte es soweit kommen, befürchtete Morn, daß sie etwas tat oder sagte, das sie später bereute.
»Ein Stück weit kann ich durchaus nachvollziehen, wie dir zumute ist«, fügte sie mit soviel Umgänglichkeit hinzu, wie sie sich momentan abringen konnte. »Angus ist der Vater meines Sohns. Wenn das Hyperspatium-Syndrom über mich die Oberhand gewinnt, steht mir der Sinn nach nichts als Selbstvernichtung. Das ist ungefähr das gleiche, als ob man durch völlige Überanstrengung in den Tod geht. Aber ich glaub’s dir nicht, wenn du behauptest, es sei ›mit allem aus‹. Mit dir ist es nicht aus. Dein Leben behält seinen Wert, selbst wenn du Ciro nicht vor der eigenen Dummheit beschützen kannst.«
Zunächst hätte sie nicht sagen können, ob Mikka ihre Argumente zur Kenntnis nahm. »Na schön«, murmelte Mikka
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