Amnion 5: Heute sterben alle Götter
ihren Anzeigen.
Die sterile Beleuchtung des Krankenreviers machte die Displays gut sichtbar. Den Indikatoren zufolge war er wach. Da gab es kein Mißverständnis. Außerdem verwiesen sie darauf, daß der Medi-Computer bei seiner Heilung schnelle Fortschritte erzielte.
Allerdings stand Morn auf der anderen Seite des Behandlungstischs. Vielleicht sah sie nicht, daß er die Augen offen hatte. Oder sie hatte noch keinen Blick auf die Monitoren geworfen. »Angus«, sagte sie zum drittenmal. »Ich weiß nicht, wie ich bei dir vorgehen soll. Ich habe keine Ahnung, ob du mich hören kannst. Aber es ist wichtig. Du mußt aufwachen.«
Ja verdammt, die Posaune brauchte ihn wahrhaftig dringend. Er ist der einzige, der dazu fähig sein dürfte, die Antriebsaggregate zu reparieren. Das beschissene, kleine Nullwellenhirnchen Ciro hatte sie sabotiert. Selbst nachdem ihm durch Vector der Blutkreislauf von dem Mutagen gereinigt worden war, hatte er Sorus Chatelaines Willen befolgt.
Niemand konnte die Zugriffssperre überwinden, mit denen Angus einen Großteil der Bordsysteme geschützt hatte. Er hingegen…
Er hatte die Dateienspeicher mit den entsprechenden Informationen im Kopf, abrufbereit warteten sie auf der anderen Seite der Interncomputer-Schnittstelle. Er könnte das Raumschiff demontieren und wieder zusammenbauen, ohne auf Schadensanalysen angewiesen ’zu sein. Wahrlich, er wäre dazu imstande, die Hälfte aller eventuell erforderlichen Ersatzteile selbst herzustellen, wenn es sein müßte…
Er schluckte, um die Kehle freizubekommen. Hau ab, du verfluchte Hexe, wollte er rufen. Mir ist es schnuppe, wie sehr ihr mich braucht. Ich brauche euch nicht. Das wollte er ihr in vollem Ernst ins Gesicht schleudern.
Aber in Wahrheit war es Quatsch. Er wünschte gar nicht, daß sie ging. Er hatte nicht vor, ihr jemals wieder Leid zuzufügen…
Immer wenn ihr seinerseits Leid zugefügt worden war, hatte er sich selbst weh getan.
So lautete das Resümee seines gesamten beschissenen Lebens. Jahrelang, jahrzehntelang hatte er mit aller Kraft geraubt, gemordet und vergewaltigt, mißhandelt und zerstört. Und nach jeder Gewalttat waren seine Alternativen geringer gewesen. Seine Freiheit war geschrumpft. Einerlei was er unternahm, er war nur immer tiefer in den Abgrund seiner Existenz gesunken, den Pfuhl des Entsetzens und der Qual, vor der er sich sein Lebtag lang auf der Flucht befunden hatte. Bis ihn Morn von den Prioritätscodes erlöste.
Die Programmierung des Interncomputers hielt ihn noch in einem Netz weit umfangreicherer Restriktionen, als er hätte aufzählen können; doch niemand hatte mehr die Macht, ihn zu unfreiwilliger Mitwirkung zu zwingen.
Und er hatte das Kinderbett überlebt. Außerhalb des Raumschiffs und allein im EA-Anzug, auf dem Amboß der Energien des Geschützfeuers, des Asteroidenschwarms und eines Schwarzen Lochs, war er wehrlos in die pure, blinde Agonie gestürzt, die er stets gefürchtet hatte; doch er hatte überlebt.
Ohne jeden Zweifel hatte er keinen Wunsch, daß Morn ging.
Aber das war nicht alles; es stand schlimmer um ihn, als daß er bloß keinen Drang mehr verspürte, ihr Leiden zuzufügen. Er mochte nicht, daß sie dachte, sie könnte nichts ausrichten. Er wollte nicht, daß sie sich hilflos fühlte…
»Ich hör’s.« Seine Stimme glich einem rauhen Krächzen der Kehle. »Du sollst mich nicht hetzen. Ich muß über ’ne Menge nachdenken.«
Herrgott noch mal, was war nur mit ihm los? Was kam als nächstes? Daß er sie anflehte, verdammt noch mal, ihm zu verzeihen?
Nein. Nie und nimmer. Allem zum Trotz, gottverdammt noch mal, war er am Leben. Er hatte das Kinderbett durchgestanden. Er war Angus Thermopyle, kein alberner, bescheuerter Philanthrop, der das Bedürfnis oder es gar nötig hatte, sich dafür zu entschuldigen, daß er lebte.
»Gott sei Dank.« Morns Erleichterung war für ihn so deutlich wie Mitteilungen aus seinem Data-Nukleus. Trotz ihres Widerwillens wünschte sie nicht seinen Tod.
Wir brauchen dich. Du mußt aufwachen.
Aber irgendwie paßte alles nicht zusammen. Ciro hatte die Antriebe sabotiert? Wieso existierte dann die Posaune überhaupt noch? Wie war sie davongekommen? Wo war sie?
Die Astro-Schnäpper sitzen uns im Nacken, hatte Davies gesagt. Angus hatte es gehört. Wir funken ein Gruppe-Eins-VMKP-Peilsignal. Dann hatte Davies gefragt, als dächte er, Angus wüßte darauf eine Antwort: Auf wessen Seite steht der VMKP-Kreuzer?
Was, zum Henker, spielte sich
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