Amnion Omnibus
als unangebracht erachtete, behielt sie es für sich. Vielleicht verstand sie, wieso Morn sie an sie richtete. Die Direktorin krümmte die Finger, betrachtete den Verband, den ihr Glessen angelegt hatte.
»Merkwürdige Sache«, meinte sie halblaut und mit gerunzelter Stirn. »Dieser elende Cyborg kann glänzend zielen. Ihn zu schlagen, hat stärker geschmerzt, als von seinem Laser getroffen zu werden.« Ihr Mund zuckte.
»Eines Tages werde ich es schon noch lernen, mein Temperament zu zügeln. Aber voraussichtlich nicht in naher Zukunft.« In der Hilfssteuerwarte war es eindeutig kühler, als es hätte sein dürfen. Morn warf einen Blick auf die Statusanzeigen der Klimatisierung und sah, daß einige Temperatursensoren und Luftzirkulationsrelais nicht richtig funktionierten. Irgendwie mußten sie beschädigt worden sein.
Sie versuchte es ein zweites Mal.
»Direktorin…« Sie spürte einen Kloß in der Kehle.
Min… »Sie sind über mein HyperspatiumSyndrom informiert. Sie wissen, was Angus mir angetan hat.« Morn ließ der Direktorin keine Zeit zur Bejahung. »Aber ich habe Ihnen noch nicht erzählt, daß Vector mein schwarzes Kästchen zerbrochen hat. Das Zonenimplantat-Kontrollgerät. Angus Thermopyle hatte es mir ausgehändigt. Vector hat es zerdroschen, um zu verhindern, daß ich mich umbringe. Während Nick Succorso über Angus’ Prioritätscodes verfügte. Seitdem ist mein HyperspatiumSyndrom« – ihre Einlassung klang lahm »ein besonders ernstes Problem.“
»Ach so.« Min Donners Gesichtszüge schienen kantiger zu werden. »Ich fand’s verwunderlich, daß Thermopyle Sie geschlagen hat, als die Hoch-G-Belastung einsetzte. In dem Moment kam es mir…« – bei der Erinnerung daran schnitt sie eine Miene des Mißfallens »übertrieben vor.“
Unter Mißachtung ihrer Pflichten wartete sie auf Morns nächste Worte.
Insgeheim schalt sich Morn. Was war daran so schwierig? Hatte sie sich bis jetzt noch nicht an ihre Schande gewöhnt? Müßte ihr inzwischen nicht ein für allemal klar sein, daß die Stellar Regent dahin war –daß keine noch so intensive Selbstzerfleischung ihre Familie ins Leben zurückholen konnte?
Gewaltsam gab sie sich einen Ruck und überwand ihre Gehemmtheit.
»Ich brauche Ihre Hilfe, Direktorin«, gab sie mit brüchiger Stimme zu. »Ich möchte mit dem Regierungskonzil sprechen. Ihm meine Erlebnisse erzählen.« Meine Aussage machen. Jetzt oder nie. »Allein bin ich aber dazu nicht imstande. Von mir nimmt die Stationszentrale keine Weisungen entgegen. Und das EKRK-Kommunikationszentrum erst recht nicht. Sie müßten mir eine Verbindung herstellen lassen. Ohne Sie komme ich nicht durch.“
Ihr Ansinnen überraschte Min Donner nicht im geringsten. Mittlerweile hatte die OA-Direktorin wohl genügend Andeutungen gehört, um sich denken zu können, welche Absicht Morn verfolgte. Vielleicht hieß sie ihr Vorhaben gut: Es mochte sein, daß sie ihr überhaupt aus diesem Grund die Kommandogewalt zugestanden hatte. Bedächtig entfernte sie den Stöpsel aus dem Ohr und das Mikrofon von der Kehle; ihr Blick forschte in Morns Gesicht.
»Sie müssen nicht mit dem Regierungskonzil reden.« Donners Stimme klang distanziert und neutral, als wollte sie sich jedes Urteils enthalten. »Man muß dort Ihre Geschichte erfahren, aber Sie brauchen sie nicht persönlich zu erzählen. Sie können sie aufnehmen. Dann rede ich an Ihrer Stelle mit denen, spiele die Aufzeichnung vor, beantworte Fragen.“
»In Ihrer Freizeit?« argumentierte Morn versonnen dagegen. Sie hatte längst beobachtet, wie wenig Spielraum die immensen Anforderungen Min Donner gewährten. Der Leistungsdruck, unter dem sie stand, war bei ihr jedesmal erkennbar, wenn sie ins Mikrofon sprach.
»Ich schaff’s«, versicherte Min Donner. »Sie haben schon genug getan«, fügte sie freundlicher hinzu.
»Mehr als wir alle.“
Morn senkte den Kopf. Min Donners unvermutetes Entgegenkommen rührte sie; aber darauf einzugehen, fühlte sie sich nicht im mindesten versucht. »Es ist meine Aufgabe, Direktorin«, antwortete sie mit einem Seufzen. »Ich glaube, das Regierungskonzil sollte die Aussage von mir persönlich hören.« Als sie aufblickte, sah sie in den Augen der OA-Direktorin einen Glanz, der als Stolz oder als Hoffnung gedeutet werden mochte.
»Wenn es so ist…« Min Donner hob die Schultern.
»Gedulden Sie sich einen Moment. Auf Suka Bator herrscht zur Zeit nicht gerade Funkstille. Und wenn die Kapazitätsüberlastung mal
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