Amnion Omnibus
hatte; Morns Umwandlung vom Opfer zur Retterin blieb hingegen aufs Umrißhafte beschränkt; und Nicks Wandlung vom Retter zum Unhold hatte ich gar keine Beachtung geschenkt.
(Ginge in meinem Kopf nicht alles so verdammt langsam vor sich, hätte ich daraus einen nachdrücklichen Hinweis auf den dritten, unbewußten Grund meiner Unzufriedenheit entnehmen können.) Ich war von mir ziemlich enttäuscht.
Doch eine zweite Ursache meines Mißfallens hatte ich seinerzeit schon durchschaut. Anders als jeder sonstige Charakter, den ich mir bis dahin ausgedacht hatte, gab Angus mir das Gefühl ein, mich selbst entlarvt zu haben. Mir war zumute, als hätte ich, als ich ihn ersann, direkt die finstersten Seiten meines eigenen Gemüts angezapft; als hätte ich ihn, statt ihn zu erfinden, in mir vorgefunden. (Er verkörperte, um nochmals Aldiss’ Terminus zu benutzen, das ›Geläufige‹.) Und das wiederum flößte mir Scham ein. Unsinnigerweise fühlte ich mich völlig sicher, daß jeder, der Die wahre Geschichte läse, die Wahrheit erkennen, mein ›wirkliches‹ Ich sehen und davon angewidert sein müßte.
Weil ich mich für den fertigen Kurzroman schämte – sowohl aus
Aber die Zeit wirkt Wunder. Unter anderem gibt sie uns Gelegenheit zum Nachdenken. Und nachdem ich eine Weile darüber nachgedacht hatte, fing ich allmählich an, etwas gegen meine Verschämtheit zu unternehmen.
Gegen meine persönliche Scham konnte ich natürlich nichts tun.
Mir stand lediglich frei, sie unbeachtet zu lassen. Zeitlicher Abstand und Überlegungen verhalfen mir zu der Einsicht, daß für mich kein Anlaß bestand, um mich zu schämen. Selbst falls meine schlimmsten Befürchtungen realistisch wären, wenn ich nur der schwach durch Alltagsfreundlichkeit kaschierte Angus Thermopyle und dieser Sachverhalt aus der Wahren Geschichte ersichtlich wäre und infolge dessen sämtliche rechtschaffenen Leser sich vor dem Ergebnis gruselten: Na und? Nichts davon schmälert die Integrität der Wahren Geschichte als solcher. Falls ich einen verschütteten Teil meines Ichs angezapft habe, um Angus Thermopyle zu konzipieren, um so besser: dann wußte ich zumindest, worüber ich schrieb. Doch auf alle Fälle lautet für einen Künstler die entscheidende Frage nicht: Was halten die Leute von mir? Sie lautet: Habe ich bei der Arbeit mein Bestes gegeben? Alles andere zählt nicht.
Was Die wahre Geschichte betraf, mußte ich antworten: Ja und nein. Ja, ich war beim Niederschreiben des Kurzromans genauso vorgegangen, wie ich es hatte tun müssen: ich hatte mich aus dem schlichten, aber völlig hinlänglichen Grund, weil sie mir nun einmal kam, auf die Idee ›Angus Thermopyle‹ eingelassen; ich folgte der Idee, wohin sie mich führte, statt sie meinen Zwecken dienlich machen zu wollen. Und nein, ich hatte für dieses Werk nicht mein Bestes geleistet: ich hatte nicht alles getan, was meiner Macht unterstand, um dem Kurzroman ein möglichst hohes ästhetisches Niveau zu verleihen.
In den beiden darauffolgenden Jahren schrieb ich Die wahre Geschichte
Textverarbeitungsprogramm zu verschiedenen Zeiten sogar mindestens noch sechsmal vor, legte mehr Gewicht auf Morn und schilderte sie vielseitiger, stellte Nick stärker heraus. Aber zuletzt gelangte ich zu der Schlußfolgerung, daß ich nie dazu imstande sein würde, den Text ›ästhetisch makellos‹ zu gestalten. Nach der Maßgabe meiner ursprünglichen Absichten geurteilt, müßte dieses Werk, glaubte ich, immer ein Fehlschlag bleiben. Das Anliegen, mich mit Angus Thermopyle auseinanderzusetzen, hatte für mich als Autor eine derartig zwanghafte Dringlichkeit, daß ich Nick und Morn nicht zu ebenbürtigen Romanfiguren entwickeln konnte. Was man als räumliche Beschränkung der Erzählung bezeichnen könnte, ließ für sie zuwenig Platz.
(Da war er wieder: ein Hinweis auf den dritten, unbewußten Grund meines Mißmuts. Aber ich ersah die Wahrheit noch immer nicht.) Zum Glück bewahrte mich etwas, das Dr. Who laterales Denken‹ nennt, vor der Auffassung, Die wahre Geschichte sei künstlerisch zum Scheitern verdammt. Hat man vor sich eine unersteigbare Klippe und ein unbezwingbares Ungeheuer hinter sich, verduftet man am besten zur Seite. Eingedenk dieser Maxime fragte ich mich nicht: »Was habe ich im Text falsch ausgeführt?«, sondern befaßte mich mit der Frage: »Wo habe ich bei meinen ursprünglichen Absichten einen Fehler gemacht?« Ja, wo hatte ich einen Fehler begangen? Wo sonst, wenn nicht dort?
Die
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