Amok: Thriller (German Edition)
laut, dass beide Kinder zusammenzuckten. Er war kräftig gebaut, eins fünfundachtzig groß und breitschultrig, und selbst manchmal etwas tollpatschig. Ein Teil von ihm wusste, dass er überreagierte, schon als er ihr den Becher wegnahm, aber dann schnappte Tom sich die Fernbedienung. »Du kriegst sie auch nicht«, sagte Craig. Als Tom seinen Blick sah, rückte er das Gerät widerstandslos heraus.
»Hol einen Lappen und wisch das auf«, befahl er. Maddies Unterlippe zitterte, als sie aus dem Zimmer lief. Craig verspürte die vertrauten Schuldgefühle, weil er sie mit seinem Wutausbruch zum Weinen gebracht hatte, und er vergaß nicht, Maddie zu danken, als sie mit einem Handtuch zurückkam. Nicht ganz das, worum er sie gebeten hatte, aber damit würde es auch gehen.
»Geht nach oben spielen«, schlug er vor. »Oder besser noch – räumt eure Zimmer auf.«
Nachdem er das Wohnzimmer für sich hatte, zappte er sich müßig durch die Kanäle. Auf News 24 sagte der Sprecher mit ernster Miene: »… in dem Dorf Chilton.« Craig hatte schon auf den Knopf gedrückt und musste warten, bis das Gerät wieder zurückgeschaltet hatte. Diesmal schnappte er auf: »Sobald wir Näheres wissen, werden wir Sie informieren.«
Der Nachrichtensprecher wandte sich der nächsten Meldung zu. Craig rückte näher heran und las den Ticker, der am unteren Bildrand vorbeizog. Bush spricht von echten Fortschritten im Irak . Und dann, unter der Überschrift BREAKING NEWS: Schwere Schießerei in kleinem Dorf in Sussex. Polizei und Rettungsdienst sind vor Ort.
Im ersten Moment war ihm nicht so recht klar, was die Worte bedeuteten. Chilton war so ungefähr der behäbigste Ort, den er kannte. Er konnte sich nur vorstellen, dass irgendjemand sich mit einer Schrotflinte das Leben genommen hatte.
Auf dem Schrank neben dem Fernseher stand ein schnurloses Telefon. Er nahm es und drückte die Kurzwahltaste 4. Er hörte die schnelle Folge von Piepstönen, dann war es einen Moment still. Anstelle eines Ruftons meldete sich eine Tonbandstimme: »Leider konnte die gewünschte Verbindung nicht hergestellt werden.«
Er beendete den Anruf, wartete auf das Freizeichen und probierte es erneut – mit dem gleichen Ergebnis. Dann wählte er noch einmal die Nummer aus dem Gedächtnis, für den Fall, dass die gespeicherte falsch war. Gleiches Ergebnis.
Es hatte nicht unbedingt etwas zu bedeuten. Es war noch viel zu früh, um das Schlimmste anzunehmen. Und dennoch überlief ihn ein Schauer. Es war die leise, aber unerschütterliche Gewissheit, dass irgendetwas ganz und gar nicht stimmte.
Das Telefonbuch war an keinem seiner üblichen Plätze. Er lief hektisch im Haus hin und her und drehte fast durch, bis er es schließlich in Ninas Büro fand, versteckt unter einem Berg von Papieren unter ihrem Schreibtisch. Er kniete sich auf den Teppich und blätterte hastig. Dummerweise war ihm der Name des Pubs entfallen. War es der Green Man oder der Long Man ?
Es war der Green Man . Er benutzte das Telefon in Ninas Büro und wählte die Nummer. Mit dem gleichen Ergebnis: Keine Verbindung möglich.
Er suchte die Nummer des Dorfladens heraus und rief dort an. Wieder nichts. Er starrte das Telefonbuch an, dann knallte er es unwillig zu. Das war absurd. Wahrscheinlich nur eine technische Störung. Und die vom Fernsehen mussten sich im Ort geirrt haben.
Als er ins Wohnzimmer zurückkam, war die Situation eskaliert. Die Schießerei war jetzt die Topmeldung. Das Hintergrundbild zeigte eine Dorfidylle, aufgenommen aus der Ferne: rote Ziegeldächer und ein Kirchturm, der aus einem Eichenwäldchen emporragte. Der Ticker vermeldete: SCHIESSEREI IN SUSSEX: GROSSALARM AUSGELÖST.
Im Studio waren zwei Moderatoren, ein Mann mittleren Alters und eine wesentlich jüngere Frau. Der Mann sah grau und müde aus. Die Frau war betont munter und übertrieben geschminkt.
Der Mann sagte: »… haben inzwischen die Bestätigung, dass es in dem Dorf Chilton in Sussex eine schwere Schießerei gegeben hat. Die Zahl der Opfer ist im Moment noch unklar, aber wir wissen, dass eine große Zahl von Rettungskräften vor Ort im Einsatz ist und dass für ganz Sussex Großalarm ausgelöst wurde.« Die Worte schwirrten Craig im Kopf herum und ergaben endlich einen Sinn. Er griff nach dem Telefon, um es noch einmal bei seinem Vater zu versuchen, aber dann hatte er eine bessere Idee: Abby.
Die Nummer, die er brauchte, war in seinem Handy gespeichert, und das lag in der Küche. Dort traf er die
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