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Amok: Thriller (German Edition)

Amok: Thriller (German Edition)

Titel: Amok: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Bale
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Muskel in ihrem Körper spannte sich vor Panik an. Sie konnte nicht einmal ausatmen.
    Wenn der Mörder dort war und auf sie lauerte, hatte sie keine Chance, ihm zu entkommen. Sie würde es niemals rechtzeitig nach draußen schaffen.
    Es war eine schlichte, unausweichliche Tatsache. Wenn er hier in der Kirche war, dann war sie schon so gut wie tot.

3
     
    Wieder hörte sie es. Ein Scharren, wie von einem Schuhabsatz auf Stein.
    Dann eine Männerstimme. Sehr schwach, kaum zu verstehen.
    Er sagte: »Bitte …«
    Und dann: » Ahh .«
    Julia war sofort klar, was dieses seufzende Ausatmen bedeutete – es war unverkennbar. Der Mann, zu dem die Stimme gehörte, hatte gerade sein Leben ausgehaucht – keine sechs Meter von der Bank entfernt, in der sie saß, gelähmt vor Angst. Sie hatte dagesessen und zugehört, wie ein Mann gestorben war, und hatte nichts unternommen.
    Sie begann heftig zu zittern. Sie glaubte, sie müsse den Verstand verlieren, und einen Moment lang war es fast eine Verlockung. Denn zugleich mit ihrem Verstand hätte sie sich auch jeglicher Verantwortung entledigt.
    Dann war der Moment vorüber. Sie stand auf und ging an den Bänken vorbei nach vorne. Dabei versuchte sie nicht daran zu denken, wie der Postbote ausgesehen hatte. Versuchte sich nicht vorzustellen, welcher Anblick sich ihr diesmal bieten würde.
    Es waren zwei Leichen; im Abstand von wenigen Schritten lagen sie zwischen der ersten Bank und der Kanzel auf dem Boden. Der Pfarrer war in Embryonalstellung zusammengekrümmt, eine Hand zum Altar ausgestreckt, als wollte er um Gnade flehen. Er war mehrmals in den Bauch getroffen worden und hatte eine verschmierte Blutlache hinterlassen, als er sich in Richtung Mittelgang geschleppt hatte.
    Seine Augen waren offen und starrten mit einem bekümmerten, vorwurfsvollen Ausdruck zu Julia auf. Du hast nicht geholfen , schien er zu sagen. Du hast mich gehört, und du hast nicht geholfen.
    Ein paar Schritte dahinter lag die Leiche einer kräftigen, grauhaarigen Frau in Jogginghose und blauer Fleecejacke. Sie hatte eine Kugel in den Hinterkopf bekommen, und ihr Schädelinhalt klebte in Fetzen an den Fliesen wie alter Porridge. Eine Dose Politur war ihr aus der Hand gefallen; die andere hielt noch einen blutbespritzten gelben Staublappen umklammert.
    Julia wich zurück. Sie wagte kaum daran zu denken, was hier passierte. Paradoxerweise waren die Worte, die ihr in den Sinn kamen, zugleich absurd und vollkommen einleuchtend.
    Das war kein Raubüberfall. Es war ein Massaker.
     
    Langsam kehrte sie in die Gegenwart zurück und begriff, dass einige Minuten verstrichen waren. Sie konnte sich nicht erinnern, zu einer der Bänke zurückgegangen zu sein, aber da saß sie nun. Sie fröstelte und schlang sich die Arme um den Leib, um gegen das Zittern anzukämpfen.
    Bilder bestürmten sie, ein grausiges Panorama der Leichen, die sie gesehen hatte, vermischt mit Fernsehbildern der Massaker von Hungerford, Port Arthur und Dunblane. Die Täter ausnahmslos weiße Männer, gestörte Einzelgänger, in deren verwirrten Hirnen echte oder eingebildete Ungerechtigkeiten den Nährboden für gefährliche Wahnvorstellungen bildeten.
    Sie sah ihn vor sich, wie er von Haus zu Haus ging und seelenruhig an die Türen klopfte. Wie die Dorfbewohner bereitwillig öffneten, weil sie glaubten, es sei ein Nachbar oder vielleicht der Postbote mit einem Paket. Und stattdessen brachte er sie alle um. Löschte ein ganzes Dorf aus.
    Moira.
    Es war der Ruck, den Julia brauchte, und der Adrenalinstoß war wie ein Schlag in die Magengrube. Sie sprang auf und warf rasch einen Blick in die Sakristei und das kleine Büro daneben, doch da war kein Telefon. Sie wusste, dass sie nicht in der Kirche bleiben konnte, aber sie durch den Haupteingang zu verlassen war zu riskant.
    Stattdessen steuerte sie die Seitentür im Ostflügel des Altarraums an. Das bedeutete, dass sie an den Leichen des Pfarrers und der Putzfrau vorbeigehen musste, doch sie zwang sich einfach dazu. Sie musste etwas tun, musste ihre fünf Sinne beisammenhalten.
    Die schwere Tür öffnete sich knarrend. Das Geräusch schien entsetzlich laut. Julia trat ins Freie, blinzelte in der Sonne und folgte dem Weg quer über den Friedhof. Ein Tor in der Mauer führte auf einen Fußweg, der hinter den Häusern entlangführte, parallel zur High Street.
    Sie war auf der Höhe des ersten Hauses, bei dem sie es vorhin vergeblich versucht hatte, als ihr auffiel, dass die Hintertür nur angelehnt war.

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