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Amputiert

Amputiert

Titel: Amputiert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gord Rollo
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befand sich in der Nähe des fachgerecht reparierten Buntglasfensters, durch das ich bei meinem letzten Besuch in diesem Zimmer einen Hechtsprung versucht hatte.
    Obwohl Andrew vollständig bekleidet war – er trug einen dunkelblauen Wollpullover und weite Jeans –, wusste ich, dass er in Bill Smiths Fleischanzug transplantiert worden war, was die vertraute Stimme erklärte. Es war Bills Stimme, die ich hörte. Andrew hatte mit dem Rest des Körpers auch die Stimmbänder seines Wohltäters geerbt. Ich hatte Bill zwar nicht lange gekannt, dennoch empfand ich es irgendwie als unheimlich, seine Stimme zu hören. Unweigerlich fragte ich mich dabei erneut, mit wessen Stimme ich sprach.
    Spielt keine Rolle, lass dich nicht ablenken. Renn einfach mit feuernder Kanone da rauf.
    An diesem Tag steckte ich voller guter Ideen, diese jedoch war keine davon. Ich war nicht angetan von der Vorstellung, Dr. Marshall zu erschießen. Eine Kugel wäre ein viel zu sauberer Abtritt für ihn gewesen. Außerdem fürchtete ich, dass der Schuss im gesamten Gebäude zu hören sein und Drakes Team im Laufschritt antraben würde. Und ich wollte hören, worüber sie stritten, also hielt ich still und lauschte ihrem Gespräch.
    »Du bist ein Narr«, sagte Dr. Marshall zu seinem Sohn. »Ein undankbarer Narr. Ich habe mein Leben mit dem Versuch verbracht, dir zu helfen, wieder gehen zu können, und jetzt, wo wir dem Erfolg so nah sind, willst du mich im Stich lassen?«
    »Erfolg?«, schrie Andrew zurück. »Du nennst das einen Erfolg? Sieh mich an, Vater. Du hast meinen echten Körper Stück für Stück weggeschnitten, bis nichts mehr übrig war, und dann nähst du mich in den toten Körper eines anderen. Aber weißt du was, Dad? Ich kann immer noch nicht gehen.«
    »Das weiß ich, Andrew. Und ich habe dich in den lebendigen Körper eines anderen Mannes transplantiert. Das ist ein großer Unterschied.«
    »Nicht für mich.«
    »Das Problem ist, dass du zu lange in dem Tank warst. Die Infektion hat sich auf dein Rückgrat ausgebreitet und viele deiner Nervenbahnen stillgelegt, sodass du in deinem neuen Körper im Wesentlichen tetraplegisch bist. Aber keine Sorge, noch sind uns die Optionen nicht ausgegangen, mein Sohn. Wir müssen nur einige Schritte zurückgehen. Wir besorgen dir einen weiteren Fleischanzug, nur lassen wir diesmal die Wirbelsäule des Spenders intakt und transplantieren nur deinen Kopf auf den gesunden Hals. Ich kann das, mein Sohn, ich schwöre dir, ich kann es!«
    »Großer Gott! Und was kommt danach, Dad? Hebst du einfach mein Gehirn raus und steckst es in einen Fremden?«
    »Das wird nicht nötig sein, Andrew. Diesmal wird es funktionieren. Du musst mir vertrauen.«
    »Niemals. Nie wieder. Ich will so nicht mehr leben, Dad. Bitte . Ich kann es nicht ertragen, noch einmal in Stücke geschnitten zu werden. Du musst diesen Wahnsinn beenden.«
    »Niemals! Ich werde dafür sorgen, dass du wieder gehen kannst, Andrew. Eines Tages wirst du mir dankbar sein.«
    »Nein, Dad, das werde ich nicht. Du behandelst mich wie eine Laborratte und erwartest von mir, dass ich mich vor deinem Genie verneigte wie all die anderen Idioten hier. Ich hasse dich für das, was du getan hast. Du kannst mich das nicht noch einmal durchmachen lassen. Lieber sterbe ich.«
    »Sei nicht so naiv. Natürlich kann ich, und ich werde es tun. Wer sollte mich davon abhalten?«
    In meinem Versteck auf der Treppe wusste ich, dass dies mein Stichwort war. Falls es je einen Zeitpunkt für mich geben würde, den Actionhelden zu spielen, war es definitiv dieser Moment. In einem Film würde jeder gute Geheimagent, der sein Geld wert ist, aus der Deckung treten und selbstsicher sagen: »Ich.« Leider befand ich mich nicht in einem Film. Ich hatte nicht die Absicht, so höflich und – mal ehrlich – dumm zu sein, das Überraschungselement zu verschleudern, das ich brauchen würde.
    Trotz meiner großspurigen Gedanken darüber, Dr. Marshall aufzuspüren und mich von Angesicht zu Angesicht zu rächen, wäre es mir lieber gewesen, den Raum verwaist vorzufinden. Dann hätte ich meinen Plan, die Burg in die Luft zu jagen, still und leise und ohne Komplikationen in die Tat umsetzen können. So würde es offensichtlich nicht laufen, aber wenn ich schon zu einer Konfrontation mit Marshall gezwungen war, konnte sie zumindest nach meinen Bedingungen ablaufen. Ich hoffte, mich an ihn anschleichen und ihn ausschalten zu können, bevor er überhaupt bemerken würde, dass ich hier war.

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