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Amputiert

Amputiert

Titel: Amputiert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gord Rollo
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mich noch um.« Er warf den Apfelkern zum Mülleimer, ging zur Tür hinaus und hielt kurz inne, um sich umzudrehen und zu sagen: »Dr. Marshall wird bald hier sein, also benimm dich. Wir sehen uns später, wenn du wieder in der Reha bist.«
    Damit verschwand er. Die schwere Metalltür schwang hinter ihm zu, sodass er annahm, mich in einem versperrten Raum zurückgelassen zu haben. Das war ein Irrtum. Wenngleich die Tür so eingestellt war, dass sie sich, wie immer, automatisch schloss, hatte der Sicherheitschef nicht bemerkt, dass sein abgenagter Apfelkern nicht wie beabsichtigt im Mülleimer gelandet war. Stattdessen war er vom oberen Rand abgeprallt und auf dem Boden gelandet, wo er zwischen der sich schließenden Tür und dem Pfosten zum Liegen kam. Mit dem Apfelkern dazwischen konnte der Schließmechanismus nicht einrasten, sodass die Tür einen Spalt offen blieb.
    Ich lag noch, wo ich hingefallen war, hielt den Atem an und wartete, ob das Gewicht der Tür den Apfelkern ausreichend zusammendrücken würde, dass sich der Mechanismus schließen konnte, doch es geschah nicht. Hoffnung brandete in auf, verscheuchte meine schaurigen Gedanken an den Bluterraum oben und spornte meinen geschwächten Körper zum Handeln an. Innerhalb von Sekunden war ich auf den Beinen und rannte zur Tür. Aus diesem Raum zu entkommen, garantierte mir zwar keine Freiheit, war aber zweifellos ein guter Anfang.
    Wie sollte ich die Tür öffnen? Der Knauf war viel zu groß, um ihn mit den Zähnen zu packen, und wenn ich versuchte, sie mit der Hüfte zu öffnen, bestand die Gefahr, dass ich sie dadurch zudrückte und mich einsperrte. Letztlich benutzte ich die Zehen, drehte den linken Fuß zur Seite, schob sie durch die Lücke und zwängte die Tür so weit auf, dass ich den Kopf und Hals hineinbekommen konnte, um sie aufzuschieben.
    Drake war weit und breit nicht zu sehen, und der Gang präsentierte sich zum Glück verwaist. Zum ersten Mal seit fast einem Monat mein Zimmer zu verlassen, fühlte sich großartig an. Mir wurde vor Aufregung fast schwindlig, und ich dachte, dass diesmal das Glück vielleicht auf meiner Seite sein würde und ich einfach unbemerkt und unbehelligt aus dem Haus spazieren könnte. Ich hätte es besser wissen müssen. Ich hatte erst wenige Schritte zurückgelegt, als Dr. Marshall um die Ecke rollte, offenbar unterwegs zu meinem Zimmer. Er trug ein blaues Sweatshirt und ausgebleichte Jeans. Bis sich die Bestürzung darüber, mich außerhalb meines Zimmers zu sehen, in seinem Gesicht ausbreitete, wirkte er rundum zufrieden.
    »Wie sind Sie aus Ihrem Zimmer gekommen?«, fragte er, wobei sich ein Anflug von Beunruhigung in seine sonst so selbstbewusste Stimme schlich. »Wo ist Drake?«
    »Direkt hinter Ihnen«, antwortete ich, und sobald er den Rollstuhl wendete, um sich umzuschauen, rannte in die entgegengesetzte Richtung los.
    Durch einen Blick über die Schulter sah ich, wie Dr. Marshall ein Messer mit langer Klinge unter dem Kissen hervorzog, auf dem er saß, und es sich zwischen die Zähne klemmte, damit er mit beiden Armen die Räder betätigen und hinter mir her rasen konnte. Ich war zwar vorn, aber der kleine Vorsprung, den ich durch meinen Bluff herausgeschunden hatte, würde nicht lange vorhalten. Mit jedem Stoß seiner kräftigen Arme holte Dr. Marshall auf und näherte sich mir beängstigend schnell.
    Ohne Arme, die ich vor- und zurückschwingen konnte, gestaltete es sich schwierig, zu rennen. Ich fühlte mich ständig aus dem Gleichgewicht und hatte verdammte Mühe, in gerader Linie durch den Flur zu rennen, ohne nach links oder rechts auszuscheren. So würde das nicht klappen. Ich musste einen Ort finden, wohin mir Dr. Marshall nicht folgen konnte. Aber wo? Wohin konnte ich, ein Rollstuhl hingegen nicht?
    Die Treppe. Auf der Treppe kann er mir nicht folgen.
    Ich bin kein Orientierungsgenie, aber seit meiner Ankunft war ich ein- oder zweimal durch das Gebäude geführt worden, und ich war mir ziemlich sicher, auf den vorderen Bereich der Klinik zuzusteuern. Als ich an einigen Labors zu beiden Seiten des Korridors vorbeilief, wusste ich, dass sich der Aufwachraum, in dem ich gewesen war, im ersten Stock des Komplexes befand. Nicht allzu weit vor mir auf der rechten Seite musste eine Treppe sein. Sie würde hinunter in den kurzen Betonflur führen, der als Zugang zu der vierstöckigen Eingangshalle mit dem Glasdach diente, die ich bei meiner Ankunft gesehen hatte. Auch die Vordertür zum Parkplatz würde dort

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