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Amputiert

Amputiert

Titel: Amputiert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gord Rollo
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lange bewusstlos gewesen, wie ich glaubte. Die Operation hatte womöglich noch gar nicht begonnen; vielleicht lag ich in einem der Warteräume. Unter Umständen konnte es mir noch gelingen, aufzustehen und von hier zu verschwinden. So oder so, ich musste es herausfinden.
    Ich wappnete mich für das, was ich vielleicht sehen würde, murmelte ein kurzes Gebet, öffnete die Augen und ließ den Blick langsam über meinen Körper wandern.
    Mein rechter Arm war verschwunden, sauber an der Schulter abgetrennt.
    Mein linker auch.

Kapitel 17
    Die nächsten zwei Wochen ließ mich Dr. Marshall an einem stark dosierten Morphintropf hängen, dann begann er, das suchterzeugende Medikament langsam abzusetzen. Als ich völlig high gewesen war, kam ich mit meiner Doppelamputation erheblich besser zurecht als nach dem Beginn meiner Rückkehr auf die Erde. Man mag mich verrückt nennen, aber ich zog ein dem Drogenrausch entsprungenes Fantasieland, indem ich noch beide Arme hatte, der kalten, sterilen Welt meiner entstellten Realität vor.
    Der Heilprozess war eine langwierige und schmerzliche Erfahrung, verschlimmert durch meine mörderisch üble Laune und aggressive Stimmung. Die Ärzte und Krankenpflegerinnen, die mich versorgten, waren professionell und zeigten teilweise sogar Mitgefühl für meine Misere. Aber ob sie nur ihre Arbeit taten oder nicht, sie gehörten dem feindlichen Lager an, und dafür hasste ich sie.
    In den gesamten drei Wochen meiner Genesung kam Dr. Marshall kein einziges Mal, um nach mir zu sehen. Ich hätte gerne geglaubt, dass er sich ein wenig vor mir fürchtete, viel wahrscheinlicher jedoch war, dass es ihn einfach nicht interessierte und er mich als so unbedeutend betrachtete, dass ich keine Verschwendung seiner kostbaren Zeit rechtfertigte. Ich verkörperte für ihn nur eine Zweckmäßigkeit, Ersatzteile aus Fleisch und Blut, die er für den Fall aufbewahrte, dass er mich noch gebrauchen könnte.
    Drake hingegen kam leider andauernd vorbei, lachte über meine Schmerzen und hänselte mich auf kindische Weise, zum Beispiel, indem er mir einen Tennisball zuwarf und rief: »Da, Mike, fang !« Wenn der Ball mich ins Gesicht traf oder schmerzlich gegen meine verbundenen Schultern prallte, lachte er schallend wie ein Irrer. Er genoss es, mich zu ärgern, und liebte es, mir wehzutun. So hilflos ich war, ich gelobte, es diesem muskelbepackten, sadistischen Arschloch eines Tages doppelt und dreifach heimzuzahlen.
    Am ersten Tag, als mich die Ärzte aus dem Bett ließen, wandte sich mein Verstand von Rache ab und begann ernsthaft, über Fluchtmöglichkeiten nachzudenken. Kaum hatten meine Füße den Boden berührt, schmiedete ich bereits Pläne, hielt Augen und Ohren offen und achtete auf eine Chance, abzuhauen. Ironischerweise war es Drake – der Obermacker in Sicherheitsfragen –, der mir die Gelegenheit bot, auf die ich wartete.
    Er kam mit vorgestreckter Brust in mein Zimmer stolziert, großspurig wie immer, und befahl den beiden Krankenpflegerinnen, die gerade mit dem Wechseln meiner Verbände fertig geworden waren, rauszugehen und draußen zu bleiben.
    »Dr. Marshall ist unterwegs zu dir, Mike.«
    »Was will er?«, fragte ich neugierig und wartete nervös auf die Antwort.
    »Ich glaube, er braucht deine Beine«, erwiderte Drake lächelnd. Er freute sich sichtlich darüber, der Überbringer der schockierenden Neuigkeit zu sein.
    Er zog einen Apfel aus der Jackentasche, lehnte sich an einen Aktenschrank neben der Tür und genoss schweigend seinen Imbiss, während er sich an der entsetzlichen Wirkung erfreute, die seine Worte auf mich hatten.
    Großer Gott, nein, nicht meine Beine! Nicht meine verdammten Beine!
    Ich hatte ein lebhaftes Bild von mir vor Augen, wie ich, zu einem Nichts verstümmelt, oben in einem Bett neben Lucas und Charlie lag, wo mir drei Krankenpfleger Infusionsleitungen in den Kopf, Hals und Rumpf steckten, um mir meine erste von unzähligen Blutspenden abzunehmen. Die Vision war so kraftvoll, so real , dass ich plötzlich nicht mehr aus eigener Kraft stehen konnte. Orientierungslos, wie ich war, versuchte ich, mich an der Schublade meines Kleiderschranks abzustützen, allerdings hatte ich keine Arme, um etwas zu greifen, und so landete ich ausgestreckt auf dem Boden in der Nähe von Drakes Füßen.
    Drake fand meinen Sturz natürlich komisch und erstickte beinah am letzten Bissen seines Apfels, weil er so heftig lachte. »O Mann, ich muss hier raus. Du bringst mich noch um, Mike, du bringst

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