Amputiert
eiskalten Wassers erneut unangekündigt auf mich ein. Diesmal schmerzte die gnadenlose Kraft des Wassers noch mehr und misshandelte meinen Körper, bis ich nicht mehr stehen konnte. Erst da ordnete Drake an, aufzuhören.
»Steh auf«, befahl der Sicherheitschef ohne jede Spur von Mitgefühl in der eiskalten Stimme.
Drake kam näher, warf mir ein Handtuch ins Gesicht und beobachtete mich, während ich mich abtrocknete. Er stand zu nah und glotzte mich lüstern auf eine Weise an, die mir überhaupt nicht gefiel.
»So ist es schon besser.« Drake beugte sich zu mir und flüsterte mir ins Ohr. »Nicht übel.«
Ist Drake schwul oder bloß verrückt?
Langsam griff er hinter mich, und ich schauderte, da ich dachte, er würde mir an den Hintern fassen. Zum Glück öffnete er nur die an der Tür befestigte Handschelle. Nachdem er mich befreit hatte, gab er einem der Wachmänner mit einem Nicken zu verstehen, er solle mir Kleider bringen. Erst dachte ich, dass sie mir nur ein weißes Hemd gaben, doch als ich es auseinanderfaltete, stellte ich fest, dass es viel zu lang war, mir bis unter die Knie reichte und die Öffnung für hinten statt für vorne gedacht war. Warum steckten sie mich in ein Krankenhaushemd?
»Was ist das?«, fragte ich.
»Hast du es schon vergessen? Du hast einen Vertrag mit Dr. Marshall unterzeichnet, mein Freund, und ich bin hier, um dafür zu sorgen, dass du deine Seite der Abmachung einhältst.« Nach einem Blick auf seine Armbanduhr fuhr er fort: »Es ist kurz nach neun, Mike. Deine Operation ist in sechsundfünfzig Minuten. Dr. Marshall erwartet dich in Kürze, also setz dich in Bewegung.«
Mein Arm! Die werden mir meinen Arm wegnehmen!
Panik stieg in mir auf; sie schwoll beinah zu etwas Physischem an, das seine schmierigen Finger um mein Herz legte und mir Angst aus allen Poren presste. Rein instinktiv und ohne Ziel vor Augen warf ich Drake das Krankenhaushemd in die grinsende Visage und rannte los, als sei der Teufel höchstpersönlich hinter mir her. Realistisch gesehen, konnte ich nirgendwohin, aber ich rannte trotzdem. Das Bedürfnis, dem mir zugedachten Schicksal zu entfliehen, übernahm völlig die Kontrolle über meinen Körper.
Alle fingen an zu brüllen, und natürlich verfolgten sie mich, aber ein Verzweifelter mit der richtigen Motivation kann schneller als ein geölter Blitz sein. Mit der Bedrohung, meinen Arm zu verlieren, die wie Damokles’ sprichwörtliches Schwert über mir schwebte, war ich mehr als schnell – ich flog förmlich. Leider ist es unmöglich, schneller als Kugeln zu rennen; als ich mich in dem Gewirr der Kartons verirrte, zwischen zwei großen Kisten hindurchlief und unverhofft den Lauf einer großen, schwarzen Pistole entlangstarrte, war ich klug genug, keine Dummheiten anzustellen.
Der Wachmann mit der Miniaturkanone, ein pickelgesichtiger Rotschopf, der etwa neunzehn Jahre alt zu sein schien, rief Drake zu, dass er mich habe, während er mich zurückdrängte, bis ich mit dem Rücken gegen eine harte Metallfläche stieß. Ich konnte nirgendwo mehr hin. Innerhalb von Sekunden fanden uns weitere Wachleute, und auch Drake bog um die Ecke der Lagerkisten.
»Lass ihn mich ausknipsen, Drake«, sagte der übereifrige junge Rotschopf. »Der macht mehr Ärger, als er wert ist.«
Er wird es tun . Ich beobachtete, wie sich sein Finger fester um den Abzug legte. Er wird mich umbringen!
Ich schloss die Augen, so fest ich konnte, da ich die auf mich zurasende Kugel nicht sehen wollte. Ich rechnete jeden Moment damit, den lauten Knall zu hören und zu spüren, wie mein Schädel zersprang, doch was ich stattdessen hörte, war Drake, der lang gezogen » Neeeiiin!« brüllte. Ich öffnete die Augen gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie Drake herbeigerannt kam und seinem jungen Untergebenen die Waffe aus der Hand schlug.
»Was bist du für ein Idiot?«, schrie Drake. »Um Himmels willen, Brad, sieh dich doch mal um, wo du bist. Wo er ist. Du bringst uns noch alle um.«
Der junge Wachmann schaute verwirrt drein und wusste erst nicht, worüber sein Boss so wütend war, dann jedoch weiteten sich seine Augen, und ich sah, wie ihn die Erkenntnis wie ein eisiger Wasserspritzer ereilte. Beim Ausdruck in seinem Gesicht fragte ich mich unwillkürlich, was die Wachleute wussten und ich nicht. Aber ich brauchte mich nur umzudrehen, dann verstand ich sofort. Ich lehnte an einem der beiden riesigen, kugelförmigen Tanks, die ich zuvor von der Oberseite der Verbrennungsanlage aus
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