Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Amras

Titel: Amras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
Vom Netzwerk:
schon fehlerhaft ; die Zeit zwischen zwei Vorstellungen reicht gerade noch aus, in dem von allen bejubelten Seiltänzer genau so viel Kräfte zu sammeln, als notwendig sind, vier Sprünge ›von solcher verblüffender Präzision‹ zu springen.
    An Hollhof
    Geehrter Herr, … auf dem Sessel neben dem Epileptikersessel, auf dem Sessel neben , war sie geöffnet, hinter der Tür, hatten, wie ich bemerkte, die Gesichter gewechselt: war dort die ganze Zeit, scheinbar bewegungsunfähig, ein altes dickes gewesen, so konstatierte ich jetzt, registrierte ich jetzt, wie auch Walter (der aus so viel feineren Wahrnehmungszentren gebildet war) dort, wo es, unmerklich zwar, aber ununterbrochen durch den Türspalt hereinzog, ein junges dünnes … Von Interesse war mir im Augenblick folgendes: gleichzeitig, also während ich das für mich vollkommen neue junge dünne Gesicht, ein Landgesicht, ein von Generationen von Beurteilern von Gesichtern geschaffenes Landgesicht, ein von Millionen von Dienstgeberinnen geschaffenes Hausgehilfinnengesicht, beobachtete, sah ich mich … und zwar immer wieder (jetzt Walters Hand drückend) auf der Straße nach Wilten, mich unter den Apfelbäumen am Rand des Friedhofs, mich an der Mauer des Friedhofs, mich unter der Tür des essenden, trinkenden, mit seiner Frau debattierenden Friedhofswärters … ich sah mich die Ausfahrt des Sägewerks, das einmal uns gehörte, studieren, das Lärmen der Sägen, den Geruch morschen Holzes … Während ich das Landgesicht sah, sah ich mich auf dem Hügel, von welchem aus man mit einem einzigen Blickdie Stadt Innsbruck, die lähmende, überblickt … ich sah mich im Wald, ich sah mich auf dem Kartoffelacker … das junge dünne Gesicht war für mich (während ich mich sah) alle jungen dicken und folglich auch alle jungen dicken und alle alten dünnen und alten dicken Gesichter zusammen, alle Gesichter auf der sich ständig vergrößernden und ständig verkleinernden Welt: alle immerfort gleichzeitig existierenden, immerfort gleichzeitig wechselnden Menschengesichter … auf meinem Spaziergang … mit seinen kurzen, alles, nur mich nicht, erfrischenden Regengüssen … sah mich, mit den Ideen und mit den Ideen von Ideen, den Organen von faulen und konzentrierten Gedanken, Theorien, Prozeduren beschäftigt, mich konfrontierend … in diesem dampfenden Nachmittag, diesem schwülen, dampfenden, immerfort strömenden Nachmittag … ein unglaubliches Desertieren meinerseits, was meinen Bruder betrifft; aus allem und jedem desertierte ich ständig … ich sah mich in den verrohten Innsbrucker Gassen, immerfort vor den Fleischhauerhäusern, vor den Schriftstellerhäusern, vor den Schauspielerhäusern, vor den Gerichtsanwaltsmenschenhäusern umkehren … immerfort kehrte ich um … ich sah mich der Handlungsarmut der Stadt, der Handlungsarmut der Welt, der Handlungsarmut meines Gehirns entfliehen … und immer und immer wieder, hinter dem Landgesicht, dem Hausgehilfinnen-, dem dünnen jungen Gesicht … den Hinter grund dessen, worauf ich spazierte … den Vorder grund … ich spazierte und täuschte mir einen Spaziergang vor … ich war nicht mehr fähig zu einem Spaziergang, ich hatte mir meinen Spaziergang nach Wilten vorgetäuscht, den ganzen Nachmittag vorgetäuscht, mein ganzes Elend, unser ganzes Elend nur vorgetäuscht … ich war in mir selbst mit mir wie mit mir wie in einem schlechten Roman vorgegangen … denn ein vorgetäuschter Spaziergang ist kein Spaziergang, während er doch ein Spaziergang ist … erscheint nur als ein Spaziergang, als der Spaziergang eines Spaziergangs … ich spielte mir also diesen meinenSpaziergang, und zwar den vorgetäuschten Spaziergang eines Spaziergangs, der kein Spaziergang war , neben Walter, im Wartezimmer des Internisten, vor … neben Walter, der eine Stunde lang warten mußte, bis ihn das Fräulein dann endlich aufrief, widerwillig aufrief … Und aus einer Entfernung, die für mich die beste war, jede Einzelheit an mir beobachtend, mit rücksichtsloser Verstandesschärfe mich kritisierend, mich lächerlich machend … ich machte mich lächerlich, ich machte da alles lächerlich, alles (Walters Morgenerschöpfung sogar, Walters Mittagsschlaf, Walters Durchdenturmtappen) … während ich also neben Walter im Wartezimmer durch die Allee bis nach Wilten lief, manchmal schritt, nicht lief, kroch und schritt, lief und kroch, schritt und lief, machte ich alles nur lächerlich … am meisten machte ich aber mich lächerlich, mich

Weitere Kostenlose Bücher