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An den Rändern der Zeit (German Edition)

An den Rändern der Zeit (German Edition)

Titel: An den Rändern der Zeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Ippensen
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an Luna-Essenz bei sich trug, und griff dann nach den beiden
zerlesenen Büchern über der Spüle. In der Bewegung hielt sie inne.
    Ah, sie wünschte, dass sie und Cathy zusammen die
Kraft besessen hätten, Eric einen Selbstmordbefehl zu schicken! Heißt das,
ich bin nicht besser als er? Sie fühlte, wie ihre ureigene Kälte sich als
wohltuender Schutz und Schild um sie legte.
    „Angria und Gondal“ sowie „Sturmhöhe“. Sie hielt beide
Bücher schon in der Hand … und ließ sie dann doch zurück.
    Irgendwann einmal hatte Cathy sie gefragt, weshalb sie
sich denn „Currer“ nannte und nicht „Ellis“. Wieso nicht Emily Brontё
anstatt Charlotte. Denn Ellis war das Pseudonym der wilden
Brontё-Schwester gewesen. „Zu nah dran“, hatte B.C. Cathy darauf
geantwortet.
    Über die Bücher der Brontёs hatten Cathy und
B.C. überhaupt erst näher zueinander gefunden. Darum auch liebte Casimiria
ihren Spitznamen, der wiederum auf die Heldin in Emily Brontёs einzigem
Roman „Wuthering Heights“ anspielte.
    Cathy darf nichts passieren, dachte B.C.
möglichst kühl. Eric soll sich auf mich konzentrieren, ich bin es, die er
will.
    Doch er hatte jetzt auch Casimiria im Visier, sie
wusste es. Vielleicht konnte sie den Rotzjungen Varian rechtzeitig zu einer
Rettungsaktion bewegen.
    Wenn er auch sonst zu nicht viel taugt – darin
scheint er Spezialist zu sein. Er hat sie aus dem Bizarren Zirkus befreit,
nicht ich.
    B.C. lächelte grimmig und verließ den Eisenbahnwaggon.
    Bei einem kränklich roten Kleegewächs, das blutig
wucherte, blieb sie stehen. Auf dieser Reise lag der Weg ihr im Ohr, das um ein
Mehrfaches feiner war als selbst Casimirias, und da es hier totenstill war,
hörte sie ihn bald.
    Den Zug.
     
    *
     
    Die leicht nach außen gewölbten Innenwände des
Tunnelraums glitzerten von Eis. Varian zog die Schnüre seiner Russenmütze
fester, so dass seine Ohren gut bedeckt wurden – die beiden perlengroßen Spezialverstärker
hatte er aus seinen Ohrmuscheln wieder entfernt; ohne sie konnte er den Zug
nicht hören – und streifte seine pelzgefütterten Handschuhe über.
    Wie immer war überhaupt keine Bewegung zu spüren. Der
Zug schien stillzustehen, und in den Waggonzwischenräumen war die Luft so kalt,
dass sie brannte. Schnell schlüpfte Varian in den Waggon der Ersten Klasse. Er
mochte die Eisblumen auf den Sitzpolstern dort. Froststarre Vorhänge
versperrten den Blick in das Abteil, das direkt als erstes zu seiner Rechten
lag, und die Tür schien hermetisch verschlossen zu sein. Auch das kannte der
erfahrene Reisende, und er zerrte so lange am Griff, bis die Eiszapfen, die
sich zwischen Tür und Rahmen gebildet hatten, knirschend zerbarsten.
    Es empfahl sich übrigens nicht, die Eis-Phänomene hier
in irgendeiner Weise zu berühren.
    „Ach nee“, wunderte er sich, in der Tür stehend. „Du,
Alien?“
    „Mach die Tür zu, Rotzjunge“, erwiderte B.C. Ihre
aufgesprungenen Lippen bewegten sich kaum. „Es zieht.“
    „Bisschen frische Luft schadet doch nicht, oder?“, gab
er frech zurück, erfüllte ihr dann aber doch gnädig ihren Wunsch. Grinsend ließ
er sich in einen Mittelsitz fallen, ihr schräg gegenüber.
    Lange her mein letzter Trip, dachte B.C.
Nebenwirkungen: Du hörst NOCH mehr als sonst. Sie konnte alle möglichen
Stimmen wahrnehmen, auch die von Passagieren aus einem ganz gewöhnlichen Zug im
Zentrum der Augenwelt, nur durch eine hauchdünne Quantenmembran von dieser
Dimension getrennt. Schwierig, Gedanken zusammenzuhalten. Der Wind macht
mich verrückt. Gedanken kugeln wie Murmeln aus Eis.
    Wie immer trug das Alien seine Sonnenbrille. Sonst
nichts als Schutz außer diesem lilaroten Schal, den er mittlerweile auch
kannte. Sie waren sich fünf- oder sechsmal begegnet im Zug, und jedesmal hatte
sie den Schal umgehabt. Und die Sonnenbrille auf ihrer gekrümmten Nase. Das
heißt: Einmal, ein einziges Mal hatte sie sie abgenommen, und deshalb wusste er
auch, dass sie ein Alien war. Varian erinnerte sich nicht gerne an diesen
Moment.
    Ihr Gesicht war gezeichnet von der Zeitkälte, aber sie
schien es nicht zu spüren.
    „Du siehst nicht gut aus, Alien.“
    Ich verfluche seine Kälteresistenz! Ein normaler
Mensch wie er sollte überhaupt nicht in der Lage sein, mit dem Zug zu fahren!
    Laut aber sagte B.C. nur: „Rotzjunge.“ Sie hatte die
vage Ahnung, ihm noch mehr sagen zu müssen – es ging um Cathy – aber es fiel
ihr nicht ein. Diese alles vernichtende Zeitkälte, die sich tief in

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