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An diesem einen Punkt der Welt - Roman

An diesem einen Punkt der Welt - Roman

Titel: An diesem einen Punkt der Welt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brita Steinwendtner
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hab durchgedreht, du hast es ja erlebt, aber schließlich hat sie mich betrogen mit diesem Besserwisser von Reinhold. Da hab ich dichtgemacht nach außen, in mir drinnen war Hurrikan. Aber ich hätte sie nicht fortjagen dürfen wie der ärgste Idiot. Sieben Jahre waren wir zusammen. Elisa – ja, du weißt es ja selbst, Elisa ist, wie soll ich das sagen, irgendwie, ja, Elisa ist irgendwie – meine Frau –
    Wie Stille sich dehnen konnte.
    Wie Warten wirklich Warten werden konnte.
    Kein Knacken in den alten Holzbalken.
    Keine Regentropfen.
    Kein Mut, der irgendwo saß.
    Schließlich sagte Parmenides mit großer Entschiedenheit:
    Nein, Tom, das geht nicht. Man kann nie dort weitermachen, wo man aufgehört hat. Das müsstest du wissen … Zwischen damals und heute liegt für jeden von euch ein ganzes Stück Leben. Und kein leichtes. Da ist viel zu Bruch gegangen. So einfach lässt sich das nicht, wie du sagst, „wiedergutmachen“. Das geht vielleicht bei kleinen Kindern, wenn sie mit dem Dreirad stürzen, man ihnen auf das Knie bläst und sagt, das wird schon wieder gut.
    Aber – –
    Nein, kein Aber. Denn „irgendwie“, Tom, „irgendwie“, das geht schon gar nicht. Wenn du einen Fehler an dir suchst, dann ist es der, dass du zu sehr im „Irgendwie“ lebst. Vielleicht auch zu sehr daran glaubst. Aber es gibt Entscheidungen im Leben, die gehen nicht „irgendwie“, da muss man Ja oder Nein sagen. Wenn du sie wirklich noch oder wieder liebst, Tom, und ich glaube, dass du beides tust, dann lass die Finger davon. Lass ihr Ruhe. Die braucht sie. Mehr als du glaubst. Viel mehr, als du ahnst. Ich weiß es, du kannst mir vertrauen. Lass ihr Zeit. Gebt euch beiden Zeit und vertu es nicht, indem du sie zu früh und „irgendwie“ fragst. Lass ein paar Monate vergehen, vielleicht ein Jahr. Dann könnt ihr weitersehen. Und dann sag einfach: Ja.

41
    Mitte Mai eröffnete Tom die Badesaison am Baggersee.
    Die erste, die er alleine verantwortete.
    Er würde strenger haushalten, damit mehr Geld übrigbliebe.
    Er hatte mit Mikram, der nur mehr zeitweise aushalf, darüber beratschlagt. Am Damm zwischen dem Mündungsgebiet der beiden Gebirgsflüsse und dem See hatten sie mit einem kleinen Arbeitstrupp neue Bänke und einen Spazierweg errichtet, um Gästen den Blick auf das Zusammenfließen zu ermöglichen: Wie sich die Farben mischten und schließlich verschmolzen, smaragd, wiesengrün, erbsenschotengrün, grünspanig, mangofruchtig, golden, gelblich, weiß und schließlich einfach flussgrün. Sie verschönerten den Kiosk. Befüllten die Sandkisten mit frischem Material, das sie von den Kehrwasserbuchten holten.
    Tom war langsam in seine Aufgabe hineingewachsen. Er erfüllte sie mit Ernst und Verantwortung. Zu Hause war das totale Chaos. Ungewaschenes Geschirr türmte sich in der Küche, überall lagen Kleider, Bücher, Schriften, Gitarren und Notenblätter herum, Staub sammelte sich an und Spinnweben hatten ein ungestörtes Dasein. Zu Mikram sprach er selbst von diesem Paradox: Im Lamandergraben wuchs ihm alles über den Kopf, hier am See war er zum peniblen Arbeiter geworden. Auch Matthias, Toms frühester Freund und darum auch geduldet als sein Kritiker, wunderte sich. Ist also doch nicht alles verloren, sagte er, wirst doch noch ein guter Bürger mit geregelter Arbeitszeit und Pensionsanspruch. Hättest gleich Lehrer werden können, und sie lachten, dann half Matthias beim Sandschleppen und als es dunkel wurde, saßen sie zu dritt im Kiosk, öffneten einige Flaschen Bier und redeten von früher und der Illusion der großen Freiheit, bevor Mikram zu seiner Gefährtin nach Hause fuhr, Matthias zu Bett musste, da er am nächsten Tag für eine Hintergrundgeschichte über Blitzheiraten – für Playboy oder GEO? – nach Las Vegas fliegen sollte, und Tom die Gläser wusch, absperrte, noch eine Weile rauchend am Ufer des Sees auf und ab ging und später im versinkenden Haus in der Beuge des Baches in allen Räumen Licht machte.
    Jetzt also begann die neue Saison.
    Das ganze Areal war bestens vorbereitet für einen langen, heißen Sommer. Aber es regnete.
    Es regnete bis in die erste Juniwoche. Außer Fischern, die am Zusammenfluss reiche Beute fanden, waren keine Gäste da. Vereinzelt verirrten sich enttäuschte Touristen hierher, die mit Schirm und in Regenmänteln mürrisch um den See wanderten, um wenigstens irgendetwas zu tun.
    Anfangs genoss Tom diese Stimmung. Der Nebel hing tief, es war kalt, oft nur um die zehn Grad. Er

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