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An diesem einen Punkt der Welt - Roman

An diesem einen Punkt der Welt - Roman

Titel: An diesem einen Punkt der Welt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brita Steinwendtner
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1
    … auf den Wiesen des Grillparz.
    Unter der Wetterlärche.
    Er sagte es leise.
    Hatte zu spielen aufgehört.
    Nur die Nahestehenden verstanden die Worte.
    Elisa sah ihn an.
    Parmenides horchte auf.
    Spiel weiter, rief einer.
    Der Lamandergrund lag im Dunkel.
    Hell das Haus, im Hof ein paar verglühende Fackeln.
    Erster Pendlerverkehr auf der Straße hinter den Mostbirnbäumen.
    Es war Freitag.
    Ein Freitag wie viele.
    Highlife im alten Bauernhaus an der Biegung des Baches.
    Freitags-Beisel, sagten sie dazu. Alle waren da, die immer da waren, und ein paar neue dazu. Das Haus zog Menschen an, junge und ältere, von überall her im Bezirk. Fahrräder lagen im Gras, Mopeds standen an den Bäumen, Ribisel reiften. Drinnen lachen, reden, debattieren. Galopp in Adern und Kopf. Teil sein, sich fallen lassen. Rauchen, tändeln, lieben. Silberarmband, Ohrmuschel und einer, der fragt. Händedunkel und Lichterfäden, Gitarre, Drums und Allesvergessen. Hunger nach Anerkennung und Widerstand.
    Es war so eine Freiraumidee, sagte Matthias später, als es das Beisel nicht mehr gab, man war begeistert von dieser Wildnis, man war so entspannt, erlöst und beseelt bei Tom, er war ein Ermöglicher und Verbinder, ganz urteilsoffen. Hatte so eine Gestaltungsmacht, wie ich sie von niemandem sonst kenne.
    Eine Nacht als Boot.
    Nach drüben.
    Beyond.
    War ein Mythos, diese Freitagnacht, hier auf dem Land.
    Tom schaute in den Sommerregen vor den offenen Fenstern und sagte:
    Verstreut meine Asche auf den Wiesen des Grillparz.
    Unter der Wetterlärche.
    Elisas Augen.
    Es war jener Blick, mit dem sie ihn wehrlos machte, der alles in sich barg, die Liebe und die Angst, die Zärtlichkeit und die Zurückweisung, die Bewunderung und, vielleicht auch das, die sekundenschnelle Verachtung, die ihn aus sich hinauswarf und durch die Nacht trieb.
    Spiel weiter, rief einer wieder.
    Hey, ja, sing endlich weiter.
    Tom sah zu ihnen und lachte.
    Nahm die Gitarre, schaute in die nassglänzenden Blätter des Nussbaums.
    Die Schaukel schwang leicht im Wind.
    How does it feel
    How does it feel
    To be on your own
    With no direction home
    Like a complete unknown
    Like a rolling stone?
    Es war in dieser Freitagnacht, dass der Spieler zum ersten Mal den Bach unter dem Haus spürte, unter den Kellergewölben, mit leisem Drängen, stockend, höhlend und unnachgiebig.

2
    Das Gehöft lag in der Beuge des Lamanderbaches. Er umschloss es von Ost nach West, beschützte und bedrohte es zugleich. Die erste Silbe seines Namens war im Dialekt der Region verloren gegangen und nur mehr wenig deutete auf das schwarze Tier mit den leuchtend orangefarbenen Flecken hin, von dem es in Toms Kindheit hieß, dass man es nicht berühren dürfe, da seine Haut ein ätzendes Sekret absondern würde. Als er hierher gezogen war – er war Mitte zwanzig vorbei –, fand er in den Chroniken des Ortes die ursprüngliche Bezeichnung: Salamanderbach. Ein etwas umständliches Wort, so dass es zu immer neuen Varianten einlud, Lamander-, Mander-, Anderbach. Tom gefiel die Mehrdeutigkeit. Er selbst blieb bei der kartographischen Bezeichnung Lamanderbach, was ihm rätselhaft und kostbar klang und im Gegensatz zur Normalität eines Gewässers stand. Auch das gefiel ihm.
    Der Bach entsprang am Fuß des Grillparz und floss durch einen Graben, der sich tief in die umliegenden Bauernwiesen eingegraben hatte, durch weichen Flysch, durch die Jahrhunderte. Seine Ufer waren gesäumt mit Blattwerk, Farnen, Brombeergestrüpp und Mischwald, sie waren finster und nach kurzem bereits weglos. Abenteuerspielplatz für Kinder. Jäger gingen auf die Pirsch, Tom mied sie, wenn er mit Elisa hier unterwegs war. Der dunkle Platz um den Ursprung des Baches war ein Versprechen. Denn unerwartet schnell ging der Graben oberhalb des Geländes ins Freie über, in helle Wiesen und Weiden, Obstbäume standen an den Wegen, Zäune, und auf den Kuppen der Hügel thronten die Höfe, die aus der Ferne, von der Autobahn her, wie kleine Schlösser wirkten.
    Das Dorf lag im Voralpenland zwischen Ebene und Gebirge, fruchtbares Bauernland zwischen Flüssen, die alle nordwärts entwässerten und an deren Ufern traditionsreiche Handwerksbetriebe angesiedelt waren. Ringsum andere Dörfer und Kolness, die Bezirkshauptstadt, viele Pendler in alle Richtungen, in die Groß- und Kleinindustrien des Landes. Ein Kloster überragte das Dorf seit vier Jahrhunderten. Wie ein weißes Schiff lag es an den auslaufenden Hängen des Grillparz, weithin

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