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An einem Tag wie diesem

An einem Tag wie diesem

Titel: An einem Tag wie diesem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Stamm
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Jean-Marc ganz schön durcheinander gebracht.«
    Delphine schwieg einen Moment, dann fragte sie, was Jean-Marc ihm erzählt habe.
    »Dass ihr miteinander geschlafen habt. Und dass du dann nichts mehr von ihm wissen wolltest.«
    »Was für ein Idiot.«
    Andreas legte ihr die Hand auf die Schulter. Sie wand sich aus der Umarmung.
    »Keine Angst«, sagte er.
    »Ich habe keine Angst.«
    Andreas setzte sich auf das Bett. Delphine setzte sich neben ihn. Die Spannung war weg.
    »Und?«, fragte sie.
    »Er ist wirklich ein Idiot. Mein bester Freund. Aber ein Idiot.«
    Andreas lachte, dann musste er husten. Delphine sagte, das klinge nicht gut. Er bedankte sich. Delphine sagte, er sei ein seltsamer Mensch, und Andreas musste wieder lachen und husten.
    »Keine Angst«, sagte er, als er sich etwas erholt hatte. »Ich werde ihm nichts erzählen.«
    »Was erzählen?«, fragte Delphine. Sie sagte, das mit Jean-Marc sei ein Fehler gewesen. Es sei an einem jener
Abende gewesen, an denen man mit jedem mitgehen würde, einfach, um nicht allein zu sein. Ob er das kenne? Sie habe ja nicht wissen können, dass Jean-Marc sich gleich in sie verliebe.
    »Er hat sich nicht in dich verliebt«, sagte Andreas. »Es ist nur seine Eitelkeit. Hättest du ihn verfolgt, ihn angerufen und etwas von ihm gewollt, er hätte dich bald fallen lassen.«
    »Danke für das Kompliment.«
    »Ich meine es nicht böse. Ich kenne Jean-Marc. Hat er dir die Fotos von seinen Kindern gezeigt?«
    »Ich hätte ihn umbringen können«, sagte Delphine und lachte.
    Sie lagen nebeneinander auf der Matratze und schauten schweigend an die Decke. Draußen hatte es zu dämmern begonnen. Andreas fühlte sich sehr ruhig. Endlich setzte Delphine sich auf. Sie wandte sich Andreas zu und schaute ihn an.
    »Der Waschsalon schließt in zwei Stunden.«
    »Ist das einer der Abende, an denen du mit jedem ins Bett gehen würdest?«, fragte er.
    »Nein«, sagte Delphine und fing an, Andreas’ Hemd aufzuknöpfen. Ihr Gesicht schien vollkommen ausdruckslos. Sie zog ihm Hemd und Hose aus und die Unterwäsche. Dann verschwand sie ins Bad und kam mit einem Kondom zurück, das sie sorgfältig auspackte und ihm überzog. Mit wenigen Bewegungen streifte sie sich die Kleider vom Leib und ließ sie zerknüllt auf den Boden fallen. Einen Moment lang stand sie nackt neben dem Bett mit hängenden Armen. Andreas war erstaunt, wie bleich
sie war. Er nahm sie bei der Hand und zog sie zu sich aufs Bett.
     
    Er hatte in die Bretagne fahren wollen, um Jean-Marc zu besuchen, der von dort stammte und jeden Sommer mit seiner Frau und den Kindern für ein paar Wochen hinfuhr. Er rief ihn an und sagte, er müsse die Reise um einige Tage verschieben. Er sagte nicht, weshalb. Auch Sylvie und Nadja hatte er nichts von dem Eingriff gesagt. Er konnte sich vorstellen, was sie sagen würden. Nadja würde vor allem sich selbst bemitleiden. Sie wäre wütend auf ihn, wie Leute wütend sind auf das Glas, das sie zerbrochen haben. Und Sylvie würde sofort versuchen, das Problem zu lösen. Sie hatte bestimmt einen Freund, der Lungenspezialist war und der sich bereit erklären würde, Andreas zu untersuchen, ihn zu behandeln. Er ließ beide im Glauben, er fahre in die Ferien. Die Einzige, der Andreas vom Eingriff erzählte, war Delphine. Er war selbst erstaunt, dass er ausgerechnet mit ihr darüber sprach, aber vielleicht hatte es damit zu tun, dass sie in seinem Leben keine Rolle spielte, dass sie ihm nicht vertrauter war als jemand, den man auf einer Reise trifft und kurz darauf wieder aus den Augen verliert. Selbst dadurch, dass er mit ihr geschlafen hatte, war er ihr nicht wirklich näher gekommen. Sie hatte ihn gefragt, was er möge, und ihm gesagt, was sie mochte, und hatte ihn zurechtgewiesen, wenn er zu schnell war oder zu grob. Danach war er wirklich mit in den Waschsalon gegangen, und während sie vor einer der Maschinen saßen und warteten, erzählte er Delphine von dem Eingriff. Sie war wieder
sehr sachlich. Sie versuchte nicht, ihn zu trösten oder das Ganze herunterzuspielen. Sie hörte aufmerksam zu und fragte, wann er ins Krankenhaus müsse und wie lange er dort bleiben werde. Dann sagte sie, sie werde ihn hinfahren. Er sagte, er könne zu Fuß gehen, es seien keine fünfzehn Minuten. Aber Delphine bestand darauf, ihn zu fahren.
    Fünf Tage später klingelte sie pünktlich an seiner Tür. Sie hatte den Wagen mitten auf der Straße stehen lassen, und als Andreas aus dem Haus trat, stritt sie mit dem Fahrer

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