An einem Tag wie diesem
schmalen Weg entlang. Fabienne folgte ihm in einigem Abstand. Sie hatten noch kein Wort gewechselt. Nach vielleicht fünfzig Metern verließen sie den Weg und kamen kurz darauf zu einer kleinen Mulde.
»Lass uns hier bleiben«, flüsterte Andreas. Er kauerte sich nieder und schaute zurück zur Hütte, aber er sah nur schwach den Schein des Feuers, das fast heruntergebrannt war. Dann hörte er Beatrice rufen: »Wir kommen!«
Fabienne hatte sich an einen Baum gelehnt, als sei es ihr egal, entdeckt zu werden. Sie warteten. Aus dem Wald kamen Rufe und Gelächter. Das erste Paar war gefunden und half beim Suchen. Sie schienen am Waldrand entlangzugehen, ihre Stimmen wurden lauter,
dann leiser. Das Feuer war noch einmal aufgelodert und dann in sich zusammengefallen. Jetzt war es nicht mehr zu sehen.
»Im Dunkeln finden sie uns nie«, sagte Fabienne. Es war der erste Satz, den Andreas aus ihrem Mund hörte. Sie sprach Französisch. Er fragte, woher sie komme. Aus Paris, sagte sie, ihre Eltern wohnten in einem Vorort von Paris.
Nach einiger Zeit stand Andreas auf, und sie schlichen zurück zur Hütte. Nur Manuel war dort. Er stocherte mit einem Ast in der Glut herum. Die anderen seien zur Kiesgrube gegangen, sagte er. Fabienne und Andreas setzten sich, und Manuel fing an, Fabienne auszufragen. Schließlich verabredeten sie sich, am Sonntag baden zu gehen.
Als Andreas erwachte, war es dunkel im Zimmer. Delphine saß noch immer in dem Sessel. Sie hatte die Beine auf das Beistelltischchen gelegt und war eingeschlafen. Auf ihrem Schoß lag das Buch.
Andreas fragte sich, was sie hier suchte. Er war fast doppelt so alt wie sie, und er konnte sich nicht vorstellen, was sie daran fand, einem kranken Mann Tee zu kochen und kindische Geschichten vorzulesen. Sie kannten sich ja kaum.
Er öffnete die oberen Knöpfe seiner Pyjamajacke und betastete das Pflaster, das auf der Wunde klebte. Er hatte keine Schmerzen, aber der Gedanke an den Schnitt, den das Pflaster verdeckte, erzeugte ihm Übelkeit und ein Gefühl von Schwäche. Er stand auf und ging zur Toilette. Als er zurückkam, war Delphine aufgewacht.
Er fragte, ob sie nicht gehen müsse. Sie sagte, sie habe nichts vor.
»Wenn du willst, bleibe ich über Nacht hier.«
»Mit mir ist nicht viel anzufangen«, sagte er.
Delphine sagte, er sei ein Dummkopf, es gehe nicht um Sex. Sie fragte, ob er Hunger habe. Er schüttelte den Kopf.
»Du musst etwas essen.«
Sie ging in die Küche. Andreas hörte, wie sie den Kühlschrank öffnete und wieder schloss. Sie rief, sie werde ein paar Sachen einkaufen, ob es in der Nähe ein Geschäft gebe, das noch geöffnet habe. Andreas sagte, am Ende der Straße gebe es einen Gemüsehändler, der erst um Mitternacht schließe. Sie sagte, sie sei gleich zurück. Er wollte ihr Geld geben, aber als er in den Flur trat, war sie schon gegangen. Andreas hatte nie mit einer Frau zusammengewohnt. Es war ein seltsames Gefühl, dass jemand sich wie selbstverständlich in seiner Wohnung bewegte, für ihn einkaufte und kochte.
Er ging zurück ins Wohnzimmer. Vor dem Kamin blieb er stehen, und sein Blick fiel auf die Fotografie, die dort in einem kleinen Wechselrahmen stand. Sein Vater hatte das Bild aufgenommen, bevor Andreas nach Paris gegangen war. Es war eine der wenigen Sachen, die Andreas hatte haben wollen, als sein Vater gestorben war. Er nahm das Bild in die Hand und betrachtete es und dann sich selbst im Spiegel über dem Kamin. Er war erstaunt, wie wenig er sich verändert hatte. Seine Züge waren etwas härter geworden, aber der Gesichtsausdruck war noch
immer derselbe, ein Ausdruck gleichgültiger Freundlichkeit.
Andreas betrachtete dieses abweisende Gesicht, das ihm heute nicht weniger fremd war als damals. Wenn im Lehrerzimmer Fotos aufgehängt wurden von einer Party oder einer Abschlussfeier, erkannte er sich darauf oft kaum, und wenn er die Bilder betrachtete, konnte er sich nicht erinnern, was er empfunden hatte, als sie gemacht worden waren. Er erinnerte sich daran, wie sein Vater das Bild aufgenommen hatte. Sie waren zusammen in den Garten gegangen. Der Vater hatte Andreas unter den Essigbaum stehen lassen, in den Schatten, und dann verlegen ein paar Mal abgedrückt. Es war der sinnlose Versuch, den Sohn festzuhalten. Vermutlich hatte Andreas daran gedacht, deshalb hatte er gelächelt, halb mitleidig, halb spöttisch. Erst viel später hatte er gemerkt, wie zärtlich und hilflos zugleich die Geste des Vaters gewesen war.
Wenige
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