An einem Tag wie diesem
zwanzig Minuten sagten wir nicht mehr viel. Als wir aufstanden, klopfte Angélique sich das Gras von den Hosen.
»Du bist nett.«
»Und du bist süß.«
Andreas starrte auf das Buch. Schmetterling, so hatte er Fabienne manchmal genannt,
Butterfly
, wenn sie Englisch miteinander sprachen, weil ihr Deutsch damals so schlecht war wie sein Französisch. Und sie hatte gesagt, er wisse nicht, was er wolle, mit ihrer überdeutlichen Aussprache.
You do not know what you want.
Auch an die Szene erinnerte er sich. Es war ein heißer Tag. Zu dritt waren sie an einen Weiher gefahren. Sie zogen sich im Unterholz um. Manuel sagte, er schwimme auf die andere Seite, und verschwand. Fabienne sonnte sich, sie lag auf dem Rücken und hatte die Augen geschlossen. Andreas erinnerte sich an ihren elfenbeinfarbenen Badeanzug und daran, wie sie ihr Haar hochgesteckt hatte. Er betrachtete sie, und dann beugte er sich über sie. Sie musste den Schatten gespürt haben, den sein Kopf auf ihr Gesicht warf. Sie öffnete die Augen und schaute ihn an.
Er küsste sie, und sie ließ es geschehen. Er legte seine Hand an ihren Hals, streichelte ihre Schulter und berührte ganz flüchtig ihre Brust. Da machte sie sich los und lief hinunter zum Wasser.
Andreas blieb noch einen Moment liegen. Er war verblüfft, dass er es gewagt hatte, Fabienne zu küssen.
Er machte einen Kopfsprung in den Weiher und folgte ihr. Fabienne schwamm langsam, den Kopf aus dem Wasser gereckt, um sich das Haar nicht nass zu machen. Andreas musste sich Mühe geben, sie nicht einzuholen. Nach einer Weile kam ihnen Manuel entgegen. Sie drehten um und schwammen mit ihm zum Badeplatz zurück.
Später versuchte Manuel, Fabienne den Butterflystil beizubringen. Er hatte im letzten Semester die verschiedenen Schwimmstile gelernt und spielte sich mit seinen Kenntnissen auf. Vielleicht hatte Andreas sie deshalb Butterfly genannt. Oder hatte Manuel mit dem Namen angefangen? Andreas war sich plötzlich nicht mehr sicher.
Manuel stand neben Fabienne im seichten Wasser und versuchte, sie um die Taille zu fassen, aber sie machte ein paar schnelle Schritte von ihm weg. Manuel verfolgte sie. Als er sie nicht erwischte, spritzte er mit der flachen Hand Wasser nach ihr, und sie rettete sich ans Ufer.
Sie waren an diesem Tag lange am Weiher geblieben. Als es dämmerte, machten sie ein Feuer. Manuel fing an, in seinem schlechten Englisch über Religion zu sprechen. Fabienne widersprach ihm. Sie war katholisch und konnte nichts anfangen mit seinen protestantischen Ansichten, mit seiner Liebe zu Jesus, von dem er sprach wie von einem guten Freund. Andreas spielte den Nihilisten. Er geriet in Eifer. Jetzt war er es, der sich aufspielte mit seinen wohlfeilen Ansichten über die Sinnlosigkeit der menschlichen Existenz. Schließlich verbündeten sich Manuel und Fabienne gegen ihn,
und er warf ihnen Dinge an den Kopf, die er später bereute. Er schaute Fabienne an und versuchte, in ihren Augen eine Antwort zu lesen auf seinen Kuss. Aber in ihrem Blick war nur Befremden.
Auf dem Heimweg saß sie vorn neben Manuel. Es war eine warme Nacht, sie hatten das Dach des 2 CV geöffnet und fuhren über den Hügel zurück zum Dorf. Manuel hielt vor dem Haus von Andreas’ Eltern. Sie verabschiedeten sich, Fabienne beugte sich zwischen den Sitzen nach hinten und küsste Andreas flüchtig auf die Wangen. Er blieb beim Gartentor stehen und schaute dem Wagen nach, bis er am Ende der Straße um die Ecke bog und verschwand. Dann saß er noch lange draußen auf der Treppe und rauchte und dachte an Fabienne und an seine Liebe zu ihr.
Als er sie einige Tage später wiedersah, war sie anders als vorher, freundlich, aber distanziert. Sie fuhren noch ein paar Mal baden, aber Fabienne schien darauf zu achten, nicht mehr mit Andreas allein zu sein. Bald darauf schlug das Wetter um, und es war zu kühl zum Baden. Danach sahen sie sich nur noch mit anderen in der Gruppe, wenn sie zusammen ins Kino gingen oder sich in einem Restaurant trafen. Im Herbst fuhr Fabienne zurück nach Paris, um Germanistik zu studieren. Andreas hatte sie nicht zum Bahnhof begleitet, warum wusste er nicht mehr.
Nachdem Fabienne abgereist war, merkte Andreas erst, wie wenig ihn mit Manuel verband. Sie sahen sich noch ein paar Mal, aber ohne Fabienne waren ihre Treffen langweilig.
Er las die Szene ein zweites Mal. In den Fußnoten wurden die Worte erklärt, die nicht zum Grundwortschatz gehörten.
Kanal – künstlicher Fluss
nebeneinander –
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