An hoechster Stelle
bei dir. Ist das in Ordnung?«
»Wunderbar. Bis dann.«
Sie hatte den Anruf in der Bibliothek entgegengenommen.
Verwirrt und etwas beunruhigt kramte sie eine Zigarette aus ihrem silbernen Etui und entzündete sie mit einem Feuerzeug, das aus einer deutschen Granate gefertigt worden war. Roger hatte es ihr einmal geschenkt.
Tony Emsworth, dachte sie erschüttert. Die schwache Stimme und dieses Husten… Dabei hatte sie ihn noch gut in Erinnerung als schneidigen Hauptmann der Garde, Frauenheld und draufgängerischen Reiter bei Fuchsjagden. Ihn jetzt so hinfällig zu erleben, war wie eine bedrückende Mahnung an die eigene Sterblichkeit. Der Tod lag beständig auf der Lauer, das hatte sie zur Genüge erfahren – und erlebte es gerade am eigenen Leib.
Nicht einmal Hedley wusste davon, dass sie seit längerer Zeit schon an sonderbaren Schmerzen in der Brust und im Arm litt und deswegen kürzlich bei einem Besuch in London einen der besten Ärzte in der Harley Street konsultiert hatte; anschließend war sie zu gründlichen Untersuchungen in der London Clinic gewesen.
Sie dachte an eine Bemerkung, die Scott Fitzgerald einmal über seine Gesundheit gemacht hatte: Ich war in der Sprech stunde eines großen Arztes und kam todkrank wieder heraus. So ungefähr lautete das Zitat. Bei ihr war es nicht ganz so schlimm. »Ein Herzleiden, Angina pectoris, kein Grund zur Sorge«, hatte der Professor versichert. »Sie werden noch jahrelang leben. Nehmen Sie einfach diese Tabletten und schonen Sie sich. Schluss mit Fuchsjagden und dergleichen.«
»Und hiermit auch«, sagte sie leise und drückte entschlossen ihre Zigarette aus, obwohl sie über sich selbst lächeln musste, da sie sich schon seit Monaten immer wieder ermahnte.
Stukeley war ein recht hübsches Dorf mit einer schmalen Straße, gesäumt von kleinen Häusern; es gab einen Pub, einen Laden, und gegenüber der Kirche fanden sie Emsworth’ Haus, Rose Cottage. Lady Helen hatte ihn angerufen, ehe sie aus London abgefahren waren, und er erwartete sie schon an der Tür. Der hoch gewachsene Mann wirkte erschreckend hager, fast zerbrechlich, und sein Gesicht erinnerte an einen Totenkopf.
Sie küsste ihn auf die Wange. »Tony, du siehst nicht gut aus.«
»Stimmt«, erwiderte er mit einem gezwungenen Grinsen.
»Soll ich im Wagen warten?«, fragte Hedley.
»Nett, Sie wieder zu sehen, Hedley. Ich habe vor einer Stunde meine Haushaltshilfe weggeschickt. Sie hat in der Küche Sandwiches, Kuchen und so weiter bereitgestellt. Könnten Sie uns vielleicht Tee machen…?«
»Aber gern«, erwiderte Hedley und folgte ihnen ins Haus.
Im Wohnzimmer knisterte ein Feuer in einem großen offenen Kamin, freiliegende Balken stützten die niedrige Decke, und auf dem steinernen Boden lagen indische Teppiche.
Emsworth setzte sich in einen bequemen Ohrensessel und legte seinen Gehstock auf den Boden. Auf dem Beistelltisch neben ihm lag ein Aktenordner.
»Da drüben ist ein Bild von deinem Mann und mir aus der Zeit, als ich noch Oberleutnant war.«
Helen Lang ging zur Anrichte und betrachtete das Foto in einem Silberrahmen. »Ihr seht beide sehr stattlich aus.«
»Ich war nicht auf Peters Trauerfeier«, sagte er. »Auch nicht auf Rogers Beerdigung.«
»Ich habe es bemerkt.« Sie setzte sich ihm gegenüber.
»Hab mich zu sehr geschämt, um dort aufzukreuzen, weißt du.«
Aus irgendeinem Grund, den sie selbst nicht verstand, überkam sie bei seinen Worten eine sonderbare Vorahnung. Sie fröstelte.
Hedley brachte den Tee herein und stellte das Tablett auf einen kleinen Tisch. »Ich denke, mit dem Essen warten wir bis
später«, sagte Lady Helen.
»Aber dort auf dem Sideboard steht eine Karaffe mit Whiskey. Seien Sie so gut, gießen Sie mir einen großen ein«, bat Emsworth. »Und für Lady Helen auch einen.«
»Meinst du, ich werde ihn nötig haben?«
»Ich glaube schon.«
Hedley brachte ihnen die gefüllten Gläser. »Ich bin dann in der Küche, falls Sie mich brauchen.«
»Danke. Das könnte gut möglich sein.«
Mit besorgtem Gesicht verschwand Hedley wieder in der Küche, wo er nach kurzem Überlegen leise die beiden Türen der Durchreiche einen Spaltbreit öffnete. Es war zwar ungehörig, aber ihm ging es einzig und allein um das Wohl seiner Lady. Er setzte sich auf einen Hocker und lauschte.
»Seit Jahren lebe ich mit einer Lüge«, sagte Emsworth. »Keiner meiner
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