An hoechster Stelle
Freunde kennt die Wahrheit, selbst Martha, meine Frau, hat sie nicht gekannt. Ihr habt alle gedacht, ich sei im Auswärtigen Amt. Doch das stimmt nicht. Ich habe jahrelang für den Geheimdienst gearbeitet. Oh, nicht im aktiven Dienst. Ich war einer von denen, die hinterm Schreibtisch sitzen und tapfere Männer losschicken, um die schmutzige Arbeit zu tun – Männer, die dabei oft ihr Leben verlieren. Einer von ihnen war Major Peter Lang.«
Wieder überlief sie diese bedrückende Vorahnung. »Ich verstehe.«
»Lass es mich erklären. Mein Büro war verantwortlich für verdeckte Operationen in Irland. Wir waren nicht nur hinter Leuten der IRA her, sondern auch hinter paramilitärischen Gruppen der Loyalisten, die sich ihrer gerechten Bestrafung entzogen, weil sie Zeugen bedrohten und einschüchterten.«
»Und wie sah deine Lösung aus?«
»Wir hatten Undercoveragenten, hauptsächlich Männer vom SAS, die sie beseitigten.«
»Ermordeten, meinst du?«
»Nein, das Wort kann ich nicht akzeptieren. Wir befinden uns seit zu vielen Jahren mit diesen Leuten im Krieg.«
Sie ließ ihre Teetasse sinken und griff nach dem Whiskey. »Verstehe ich recht, dass mein Sohn solche Arbeit getan hat?«
»Ja, er war einer unserer besten Leute. Peters Fähigkeit, jeden nur denkbaren irischen Dialekt zu sprechen, war für uns unschätzbar. Wenn er wollte, konnte er wie ein Bauarbeiter aus Derry reden. Er gehörte zu einer Gruppe von fünf Leuten. Vier Männer und eine Frau.«
»Und?«
»Sie alle sind innerhalb einer einzigen Woche ums Leben gekommen, genauer gesagt, erschossen worden…«
»Und Peters Auto wurde in die Luft gesprengt?«
Emsworth antwortete nicht gleich. Er trank seinen Whiskey aus, stand auf, schlurfte zur Anrichte und schenkte sich mit zitternder Hand nach.
»Ehrlich gesagt, nein. Das hat man euch bloß erzählt.« Er kippte den Whiskey so rasch hinunter, dass ihm einiges übers Kinn rann.
Helen leerte ihr Glas und zog aus ihrem Silberetui eine Zigarette. »Sag mir, wie’s war.«
Emsworth sank wieder in seinen Sessel. Er deutete mit einem Kopfnicken auf den Ordner. »Da drin findest du alles. Alles, was du wissen musst. Ich breche damit zwar das Gesetz über Landesverrat, aber was soll mich das noch kümmern? Vielleicht bin ich morgen schon tot.«
»Sag mir, wie es war!«, wiederholte sie mit energischer Stimme. »Ich will es von dir hören.«
Er holte tief Atem. »Gut. Wie du weißt, gibt es in der irischen Politik viele Splittergruppen, sowohl auf katholischer wie auf protestantischer Seite. Eine der schlimmsten ist eine nationalistische Truppe, die sich ›Söhne Erins‹ nennt. Früher wurden sie von einem Mann namens Frank Barry geleitet, einem wirklich ganz üblen Gesellen – der zudem ein protestantischer Republikaner war, was ziemlich ungewöhnlich ist. Er wurde schließlich getötet, aber er hatte einen Neffen namens Jack, dessen Mutter Amerikanerin war. Jack Barry ist in New York geboren, ging 1970 mit achtzehn nach Vietnam, wurde dort zum Offizier befördert, aber dann gab es irgendeinen Skandal – offenbar hat er etliche gefangene Vietcong erschossen, weshalb man ihn ohne großes Aufhebens entlassen hat.«
»Und dann ist er der IRA beigetreten?«
»So ungefähr. Er ist ein eiskalter Psychopath und macht als Nachfolger seines Onkels jetzt schon seit Jahren sein eigenes Ding. Ach ja, noch etwas ist recht ungewöhnlich. Jacks Großonkel Lord Barry. Er hatte ein Haus in Ulster an der Küste von Down namens Spanish Head. Es gehört jetzt zum National Trust. Sein Vater ist gestorben, als er noch ein Kind war, und Frank Barry wurde getötet, kurz bevor sein alter Onkel starb.«
»Wodurch Jack den Titel geerbt hat?«
Emsworth nickte. »Aber er hat nie versucht, Anspruch darauf zu erheben. Sonst könnte man ihn leicht wegen Landesverrats belangen.«
»Na, ich glaube, es finden schon seit etlichen Jahren keine Hinrichtungen mehr auf dem Tower Hill statt. Aber Tony, bitte, komm zur Sache.«
Er schloss für einen Moment seufzend die Augen, ehe er weiterredete. »Ein Mann namens Doolin, der häufig für Barry den Fahrer machte, landete im Gefängnis von Maze, wo wir einen unserer Leute mit einem beachtlichen Vorrat Kokain zu ihm in die Zelle gesteckt haben. Er brachte Doolin schließlich dazu, ihm seine komplette Lebensgeschichte, vom Tag der Geburt an, zu erzählen.«
»Mein Gott.« Helen war
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